Eine geräumige, niedrige, dreifenstrige Stube; die Wände weiß getüncht; aller Hausrat fehlt. Vor der Hütte eine kahle Ebene; in sanfter Neigung breitet sie sich in die Ferne aus; ein grauer, einförmiger Himmel hängt darüber wie ein härenes Tuch.
Ich bin nicht allein; etwa zehn Menschen sind mit mir in der Stube. Alles einfache Leute, einfach gekleidet; sie gehen in der Stube auf und ab, schweigend, gleichsam schleichend. Jeder weicht dem anderen aus – aber unaufhörlich begegnen sich ihre besorgten Blicke.
Keiner weiß, warum er in dies Haus geraten ist und was die anderen bedeuten. Auf jedem Angesicht lagert Unruhe und Bangigkeit... alle treten abwechselnd an die Fenster und blicken forschend hinaus, als warteten sie auf etwas von dorther.
Dann wieder gehen sie unausgesetzt auf und ab.
Zwischen ihnen bewegt sich ein kleiner Knabe; von Zeit zu Zeit wimmert er mit dünner eintöniger Stimme: »Väterchen, ich fürchte mich!« – Bei diesem Wimmern wird mir kalt ums Herz – und auch mich beschleicht Furcht... Wovor? Ich weiß es selbst nicht. Nur dies eine fühle ich: heran kommt und nähert sich ein großes, großes Unheil.
Der Knabe aber wimmert in einem fort. Ach, könnte man doch nur hinaus! Wie dumpf ists hier! Wie beklommen! Wie bedrückend!... Doch nirgends ein Ausweg.
Dieser Himmel da – gerade wie ein Leichentuch. Und kein Windhauch... Ist denn die Lust erstorben? Plötzlich springt der Knabe ans Fenster und schreit mit derselben kläglichen Stimme: »Seht! seht! die Erde ist versunken!«
– »Wie? Versunken!« – Wahrhaftig: vorhin war vor dem Hause eine Ebene – jetzt steht es auf dem Gipfel eines ungeheuren Berges! Der Horizont ist herabgefallen, in die Tiefe gesunken – und dicht vor dem Hause starrt ein fast senkrechter, gähnender, schwarzer Abgrund.
Wir haben uns alle an die Fenster gedrängt... Der Schrecken erstarrt unsere Herzen zu Eis. – »Dort kommt es... dort kommt es!« flüstert mein Nachbar.
Richtig: rings um den fernen Erdrand begann es sich zu bewegen, hoben und senkten sich kleine wellige Hügel.
»Das Meer!« durchfuhr es uns alle im selben Augenblick. »Gleich wird es uns alle verschlingen... Wie kann es bloß so wachsen und in die Höhe steigen? Bis zu diesem Felsgrat?«
Allein es wächst, wächst mit rasender Eile... Schon sinds nicht mehr einzelne, in der Ferne schwankende Hügel... Eine einzige geschlossene, ungeheure Woge überflutet den ganzen Horizont.
Sie rast, rast auf uns zu! In eisigem Sturme braust sie heran, ballt sich wie Höllennacht. Alles erbebt ringsum – dort aber, in jener hereinbrechenden Masse – Dröhnen, Donnern, tausendstimmiger, eherner Schrei...
Ha! Welch ein Brüllen und Heulen! Das ist der Schreckensschrei der Erde...
Vernichtung ihr! Vernichtung allem!
Noch einmal wimmert der Kleine... Ich will mich an meine Gefährten klammern – doch schon sind wir alle zerschmettert, begraben, verschlungen, fortgerissen von dieser pechschwarzen, eisigen, donnernden Woge!
Finsternis... ewige Finsternis!
Nach Atem ringend erwachte ich.
Mascha
Als ich noch vor vielen Jahren in Petersburg lebte, knüpfte ich jedesmal, wenn ich eine Droschke nehmen mußte, mit dem Kutscher ein Gespräch an.
Besonders gern unterhielt ich mich mit den Nachtkutschern, armen Bauern aus der Umgegend, die mit einem gelbgestrichenen Schlitten und einem ärmlichen Karrengaul in die Hauptstadt kamen – in der Hoffnung, dort selber ihren Unterhalt zu finden, wie auch die Abgabe an ihre Gutsherren erübrigen zu können. Einst nahm ich wieder mal einen solchen Kutscher... Ein Bursche von etwa zwanzig Jahren, hochgewachsen, stämmig, wie aus Kernholz; mit blauen Augen und frischroten Backen; sein Haar quoll in blonden Locken unter der tief bis auf die Augenbrauen herabgezogenen geflickten Mütze hervor. – Und wie hatte er bloß diesen zerrissenen kleinen Kittel über seine riesigen Schultern ziehen können!
Indessen, das hübsche, bartlose Gesicht meines Kutschers schien bekümmert und betrübt.
Ich knüpfte ein Gespräch mit ihm an. Auch aus seiner Stimme klang Trübsal.
»Nun, Freundchen,« fragte ich ihn, »warum bist du so traurig? Drückt dich irgendein Kummer?«
Der Bursche zögerte mit der Antwort.
»Freilich, Herr, freilich,« brachte er schließlich heraus. »Und ein Kummer, wie er nicht größer sein kann. Mein Weib ist gestorben.«
»Du hast sie wohl sehr geliebt... dein Weib?«
Der Bursche wandte sich nicht zu mir um; er neigte nur ein wenig den Kopf.
»Freilich liebte ich sie, Herr. Acht Monat ists her, aber ich kanns nicht vergessen. Es frißt mir am Herzen... immerfort! Warum hat sie auch sterben müssen? War doch jung! gesund!... An einem Tage hat die Cholera sie abgewürgt.«
»Sie war dir wohl ein braves Weib?«