Laurana schloß die Tür, drehte den Schlüssel im Schloß um und lehnte sich dankbar dagegen, genoss den Frieden und die Ruhe und die Einsamkeit ihrer Kammer. Nachdem sie den Schlüssel auf einen Tisch geworfen hatte, ging sie müde zu ihrem Bett, zündete nicht einmal eine Kerze an. Die Strahlen des silbernen Mondes flossen durch die verbleiten Scheiben ihres langen, schmalen Fensters. Von den untersten Räumen des Schlosses konnte sie noch die Geräusche des Festes hören, das sie gerade verlassen hatte. Es war fast Mitternacht. Sie hatte zwei Stunden lang versucht zu entkommen. Fürst Michaels Eingreifen in ihrem Namen – daß sie von den Schlachten erschöpft sei – hatte schließlich die Herrschaften der Stadt Kalaman bewogen, sie gehen zu lassen. Ihr Kopf schmerzte von der stickigen Luft, dem Duft starken Parfüms und dem vielen Wein. Sie wußte, sie hätte nicht soviel trinken dürfen. Sie konnte Wein nicht gut vertragen, und außerdem schmeckte er ihr nicht. Aber der Schmerz in ihrem Kopf war einfacher zu ertragen als der Schmerz in ihrem Herzen.
Sie warf sich aufs Bett und dachte kurz, aufzustehen und die Fensterläden zu schließen, aber das Mondlicht war beruhigend. Laurana haßte es, im Dunkeln zu liegen. Wesen lauerten in den Schatten, bereit, sie anzuspringen. Ich sollte mich ausziehen, dachte sie, ich zerknittere das Kleid… und es ist nur geliehen…
Es klopfte an der Tür.
Laurana erwachte erschrocken. Dann erinnerte sie sich, wo sie war. Seufzend lag sie ruhig da und schloß wieder die Augen. Sicherlich würden sie bemerken, daß sie schlief, und weggehen. Wieder klopfte es, diesmal hartnäckiger als beim ersten Mal.
»Laurana…«
»Sag es mir morgen, Tolpan«, entgegnete Laurana, versuchte, den Ärger aus ihrer Stimme zu halten.
»Es ist wichtig, Laurana«, rief Tolpan. »Flint ist bei mir.«
Laurana hörte ein schlurfendes Geräusch vor der Tür.
»Komm schon, erzähl es ihr…«
»Das werde ich nicht! Es ist deine Sache!«
»Aber er hat gesagt, es wäre wichtig, und ich…«
»In Ordnung, ich komme!« seufzte Laurana. Sie taumelte aus dem Bett, tastete nach dem Schlüssel auf dem Tisch und schloß die Tür auf.
»Hallo, Laurana!« grüßte Tolpan fröhlich, während er hereinspazierte. »War das nicht ein wundervolles Fest? Ich habe noch nie soviel gebratenen Pfau gegessen…«
»Was ist los, Tolpan?« fragte Laurana und schloß die Tür. Als Flint ihr blasses, abgespanntes Gesicht sah, stieß er den Kender in den Rücken. Tolpan warf dem Zwerg einen vorwurfsvollen Blick zu, dann griff er in seine Westentasche und holte die mit einem blauen Band verschnürte Schriftrolle hervor.
»Ein Kleriker, oder so etwas Ähnliches, sagte mir, ich soll dir das geben, Laurana«, erklärte Tolpan.
»Ist das alles?« fragte Laurana ungeduldig und riß die Rolle dem Kender aus der Hand. »Wahrscheinlich ein Heiratsantrag. In der letzten Woche habe ich zwanzig davon bekommen. Ganz zu schweigen von den eindeutigen Angeboten.«
»O nein«, sagte Tolpan plötzlich ganz ernst. »So etwas ist es nicht, Laurana. Es ist von…« Er verstummte.
»Woher weißt du, von wem es ist?« Laurana musterte den Kender eindringlich.
»Ich… uh… vermute… irgendwie… sah ich darauf…«, gab Tolpan zu. Dann strahlte er auf. »Aber es ist nur, daß ich dich nicht gestört hätte, wenn es unwichtig gewesen wäre.«
Flint schnaubte verächtlich.
»Danke«, sagte Laurana. Sie öffnete die Schriftrolle und ging zum Fenster.
»Wir lassen dich jetzt allein«, sagte Flint schroff und drängte den protestierenden Kender zur Tür.
»Nein! Wartet!« würgte Laurana. Flint drehte sich um und starrte sie besorgt an.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er und eilte zu ihr, als sie sich auf einen Stuhl neben dem Fenster sinken ließ. »Tolpan – hol Silvara!«
»Nein, nein. Holt niemanden. Es ist… alles in Ordnung. Wißt ihr, was hier steht?« fragte sie flüsternd.
»Ich habe versucht, es ihm zu sagen«, antwortete Tolpan mit verletzter Stimme, »aber er wollte mich nicht lassen.«
Mit zitternder Hand reichte Laurana Flint die Schriftrolle. Der Zwerg öffnete sie und las laut vor.