Ein erwartungsvolles Schweigen fiel über die Menge. Ungeduldig starrten sie nach vorn, schubsten sich, um einen guten Ausblick auf die Ritter zu haben, insbesondere auf die Elfe, von der sie schon so viele Geschichten gehört hatten. Sie ritt als erste, allein, auf einem schneeweißen Pferd. Der Menge, die eigentlich jubeln wollte, verschlug es den Atem angesichts der Schönheit und Erhabenheit dieser Frau. Laurana, in eine glänzende, mit Blattgold verzierte Silberrüstung gekleidet, lenkte ihren Schimmel durch die Tore und in die Straßen. Eine Abordnung von Kindern war sorgfältig vorbereitet worden, Blumen in Lauranas Weg zu streuen, aber die Kinder waren vom Anblick der wunderschönen Frau in der glitzernden Rüstung derart überwältigt, daß sie ihre Blumen krampfhaft festhielten und keine einzige streuten.
Hinter dem goldhaarigen Elfenmädchen ritten zwei, die nicht wenige in der Menge zum Staunen brachten – ein Kender und ein Zwerg, zusammen auf einem schäbigen Pony, dessen Rücken so breit wie eine Tonne war. Der Kender schien eine wundervolle Zeit zu haben und schrie und winkte der Menge zu. Aber der Zwerg, der hinter ihm saß, hatte sich um die Taille des Kenders in einem todesähnlichen Griff festgeklammert, und er nieste so heftig, als ob er sich selbst vom Rücken des Tieres wegniesen würde.
Dem Zwerg und dem Kender folgte ein Elfenlord, der dem Elfenmädchen so glich, daß niemand in der Menge seinem Nachbarn erklären mußte, daß es Bruder und Schwester waren. Neben dem Elfenlord ritt ein anderes Elfenmädchen mit seltsamen silbernen Haaren und tiefblauen Augen, das angesichts der Menge schüchtern und nervös wirkte. Dann kamen die Ritter von Solamnia, vielleicht fünfundsiebzig insgesamt, herrlich anzusehen in ihren glänzenden Rüstungen. Die Menge begann zu jubeln, Flaggen wurden geschwenkt. Einige der Ritter wechselten bittere Blicke, alle dachten das gleiche: Wären sie nur einen Monat zuvor in Kalaman eingezogen, hätte man ihnen einen ganz anderen Empfang bereitet. Aber jetzt waren sie Helden. Dreihundert Jahre des Hasses und der Bitterkeit und der ungerechten Anschuldigungen waren aus der Erinnerung der Bevölkerung wie ausgelöscht, als sie jene bejubelten, die sie vor der Drachenarmee gerettet hatten.
Hinter den Rittern marschierten mehrere tausend Fußsoldaten. Und dann füllte sich zur Freude der Menge der Himmel über der Stadt mit Drachen – nicht mit den schrecklichen roten und blauen Scharen, vor denen sich die Leute den ganzen Winter über gefürchtet hatten. Statt dessen blitzten silberne, bronzene und goldene Flügel in der Sonne auf, als die ehrfurchterregenden Kreaturen in ihren gutorganisierten Scharen am Himmel kreisten, eintauchten und sich drehten. Ritter saßen in den Drachensatteln, die Klingen der Drachenlanzen funkelten im Morgenlicht. Nach der Parade versammelten sich die Stadtbewohner, um die Ansprache ihres Fürsten zu Ehren der Helden zu hören. Laurana errötete, als sie hörte, daß sie allein für die Entdeckung der Drachenlanzen, die Rückkehr der guten Drachen und die ungeheuren Siege der Armee verantwortlich wäre. Stammelnd versuchte sie, dem zu widersprechen, und wies auf ihren Bruder und die Ritter. Aber die Jubelschreie der Menge übertönten sie. Hilflos sah Laurana zu Fürst Michael, Großmeister Gunther Uth Wistans Vertreter, der kurz vorher aus Sankrist eingetroffen war. Michael grinste nur.
»Laß sie ihren Helden haben«, sagte er ihr. »Oder Heldin, sollte ich lieber sagen. Sie verdienen es. Den ganzen langen Winter über haben sie in Angst gelebt und auf den Tag gewartet, an dem die Drachen am Himmel erscheinen würden. Jetzt haben sie eine wunderschöne Heldin, den Märchen der Kinder entstiegen, um sie zu retten.«
»Aber das stimmt nicht!« protestierte Laurana, die näher zu Michael trat. Ihre Arme waren mit Winterrosen geschmückt. Der Duft war unangenehm, aber sie nahm sie aus Angst nicht ab, jemanden zu beleidigen. »Ich bin nicht aus einem Kindermärchen erschienen. Ich habe Feuer, Finsternis und Blut überlebt. Mir das Kommando zu übertragen, war eine politische List von Fürst Gunther gewesen – das wissen wir beide. Und wenn mein Bruder und Silvara nicht ihr Leben riskiert hätten, um die guten Drachen zu überzeugen, würden wir in diesen Straßen eine Parade in Ketten hinter der Finsteren Herrin abhalten.«
»Pah! Es tut ihnen gut. Und uns auch«, fügte Michael hinzu, der Laurana aus den Augenwinkeln betrachtete, während er der Menge zuwinkte. »Vor wenigen Wochen hätten wir den Fürsten nicht einmal um altbackenes Brot anbetteln können. Jetzt ist er wegen des Goldenen Generals einverstanden, die Armee in der Stadt zu stationieren, uns mit Vorräten, Pferden und allem, was wir wollen, zu versorgen. Junge Männer kommen in Scharen, um Soldaten zu werden. Unsere Armee wird um tausend oder mehr Männer anwachsen, bevor wir nach Dargaard aufbrechen. Und du hast die Moral unserer eigenen Soldaten gehoben. Du hast damals die Ritter im Turm des Oberklerikers erlebt – sieh sie jetzt an.«