»Ihr seid Betrüger«, sagte Weller plötzlich.
»Möglich.« Tally zuckte mit den Schultern. »Dann passen wir zusammen, nicht wahr? Wie viele unbedarfte Reisende hast du schon über's Ohr gehauen, Weller? Es sieht so aus, als wärst du je an der Reihe. Merk dir für die Zukunft, daß du dir deine Fahrgäste erst ansiehst, ehe du den Preis ausmachst.«
Weller hörte auf, wie besessen in der Suppe zu rühren, starrte sie einen Moment lang verdutzt an – und begann schallend zu lachen. »Du gefällst mir«, sagte er. »Wer weiß, vielleicht ist der Spaß ein bißchen Schweißarbeit wert. Woher kommt ihr?«
Tally deutete in die Richtung, in der sie Süden vermutete. »Dorther.«
Weller blinzelte. »Und wenn ich jetzt frage, wohin ihr wollt, wirst du vermutlich antworten –«
Tally deutete mit dem Daumen über die Schulter und nickte. »Dorthin, richtig.«
Weller seufzte. »Nun gut, warum frage ich auch. Geht mich nichts an, oder?« Er bückte sich, hob zwei verbeulte Blechteller vom Boden auf und füllte sie mit der dampfenden Suppe. »Hier, das wird euch guttun.«
Tally griff nach dem Teller und begann gierig zu essen. Die Suppe schmeckte nach nichts, aber sie war warm, und sowohl Tally als auch Hrhon verlangten einen Nachschlag, den Weller ihnen auch gab. Anschließend kuschelten sie sich nebeneinander ans Feuer, und plötzlich wurde Tally müde. Sie mußte mit aller Macht gegen den Schlaf ankämpfen, der sie übermannen wollte.
»Was sucht ihr in Schelfheim?« fragte Weller nach einer Weile.
Tally hob mühsam den Kopf und blinzelte zu ihm auf.
»Jemanden, der uns nicht mit neugierigen Fragen auf die Nerven fällt«, sagte sie matt.
Weller zog eine Grimasse. »Ich habe einen Grund, zu fragen«, sagte er. »Es gibt eine Menge neugieriger Augen und Ohren in der Stadt. Du könntest an den Falschen geraten, wenn du zu viele Fragen stellst. Möglicherweise findest du dich vor dem Stadthalter wieder...« Er seufzte. »Wenn du Informationen brauchst, kannst du sie von mir bekommen.«
»Und wer sagt mir, daß du uns nicht verrätst?«
Weller grinste. »Niemand. Außer der Tatsache vielleicht, daß ich davon lebe, verschwiegen zu sein.« Er zögerte einen ganz kurzen Moment. »Du bist Tally.« Tally setzte sich kerzengerade auf. Ihre Müdigkeit verflog schlagartig. »Woher weißt du das?« fragte sie.
»Das war nicht besonders schwer zu erraten«, antwortete Weller. Er deutete auf Hrhon, der zusammengekauert vor dem Feuer hockte und stumpfsinnig in die Flammen blinzelte. »Eine rabiate Amazone, die mit einem Waga durch die Lande zieht und neugierige Fragen stellt...« Er zuckte die Achseln. »Die Beschreibung paßt, findest du nicht? Du bist eine berühmte Frau, Tally.«
»Und eine wertvolle«, fügte Tally hinzu. Ihre Hand glitt zum Schwert.
Aber Wellers Grinsen wurde nur noch breiter. »Du enttäuschst mich, Tally«, sagte er. »Ich hätte das zehnfache der Belohnung einstecken können, die auf deinen Kopf steht, hätte ich all die verraten, die zu mir gekommen sind.«
»Irgendwann ist immer das erste Mal«, erwiderte Tally. Ihr Blick glitt aufmerksam über Wellers Gestalt. Auch seine Hand lag auf dem Schwert, aber nicht in drohender Weise. Es war nur ein Reflex, als Antwort auf ihre Bewegung.
»Ich kann euch von Nutzen sein«, fuhr Weller fort. »Sagt mir, wen oder was ihr sucht, in Schelfheim, und ich bringe euch hin.«
Tally dachte einen Moment ernsthaft über seinen Vorschlag nach, schüttelte aber dann den Kopf. Die Verlockung, einen Führer zu haben, war groß. Aber sie waren bis jetzt allein gewesen, und ihre innere Stimme riet ihr, auch weiterhin nicht von dieser Taktik abzuweichen.
»Du bist mir zu teuer«, sagte sie. »Selbst, wenn ich dir vertrauen würde, könnte ich mir deine Dienste nicht leisten.«
»Womit wir beim Geld wären.« Weller stakste steifbeinig um das Feuer herum und streckte die linke Hand aus.
»Du schuldest mir zehn Goldstücke. «
Tally seufzte, griff aber unter ihren Mantel und zog die Geldbörse hervor. Sorgsam zählte sie zehn Goldheller ab, ließ sie in Wellers ausgestreckte Hand fallen und knotete die Börse wieder zu. Ihre Barschaft war jetzt auf vier Goldheller und ein paar kleinere Münzen zusammengeschmolzen; in einer Stadt wie Schelfheim gerade genug für eine Übernachtung und eine drittklassige Mahlzeit. Aber sie hatte auch nicht vor, lange in Schelfheim zu bleiben. Wenn sie Glück hatten und den Mann, den sie suchten schnell genug fanden – vorausgesetzt, es gab ihn überhaupt – vielleicht nicht einmal einen Tag. Tally hatte Städte nie gemocht, und Schelfheim – obwohl sie es bisher nur von weitem gesehen hatte – würde sie garantiert noch weniger mögen. Allein der Gedanke, in diesen kochenden Pfuhl voller Menschen und Lärm und Gestank hineingehen zu sollen, bereitete ihr körperliches Unbehagen.
Wellers Blicke waren ihren Bewegungen aufmerksam gefolgt. Jetzt seufzte er, ließ seinen Lohn achtlos in der Kitteltasche verschwinden und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen nieder. »Du hast wirklich nicht viel Geld«, sagte er.
»Ich brauche keines«, erwiderte Tally ausweichend.