Müde setzte es sich auf, rieb sich mit Daumen und Zeigefinger über die Augen und sah erst die Frau an, dann blickte es in die Richtung, in der die Stadt lag. Der Wald verbarg sie vor ihren Blicken, aber der Himmel war voller Rauch. Die Stadt schwelte noch immer.
»Ist die Geschichte jetzt vorbei?« fragte es.
»Möchtest du, daß sie vorbei ist?« erwiderte die Frau. Eigentlich wollte das Mädchen das nicht. Es wollte nach Hause – nicht, daß es nicht gewußt hätte, daß sein Zuhause nur noch ein Haufen rauchender Trümmer und ausgeglühter Steine war, aber das war ihm in diesem Moment gleich. Es war müde und verschreckt und hatte Hunger und Durst und wollte einfach nach Hause – aber gleichzeitig war es auch begierig darauf, das Ende von Tallys Abenteuern zu erfahren. Es wünsche sich, die Geschichte würde nicht mehr lange dauern. Als es aufsah, um genau dies der Frau zu sagen, sah es, daß die Fremde wieder in den Himmel blickte, und diesmal hatte sie ihre Züge nicht ganz so perfekt unter Kontrolle wie bisher: das Mädchen erkannte Ungeduld darauf, aber auch eine ganz sachte Spur von Angst.
»Erzähl weiter«, bat es schließlich. »Aber ich...« Es stockte. Die Frau sah es an, lächelte. »Ja?«
»Ich habe Hunger«, sagte das Mädchen.
»Ich weiß.« Die Fremde seufzte. »Aber ich habe nichts. Soll ich ein paar Beeren für dich sammeln?«
Das Mädchen schüttelte rasch den Kopf. Die Beeren hier im Wald waren größtenteils giftig, das wußte es von seinen Eltern.
»Es wird nicht mehr lange dauern«, versprach die Frau.
»Bald bekommst du zu essen, Aber die Zeit reicht noch, dir die Geschichte von Tally und den anderen zu Ende zu erzählen. Und es ist sehr wichtig, daß du zuhörst – verstehst du?« Das Kind verstand nicht, aber es nickte trotzdem.
»Hat Karan sein Wort gehalten?« fragte es.
»Natürlich, Dummchen«, sagte die Frau lächelnd. »Sonst könnte ich kaum weitererzählen, nicht wahr?« Sie lachte leise, als sie sah, wie das Mädchen betroffen den Blick senkte, streckte die Hand aus und strich ihr über das Haar. »Er brachte Tally und Hrhon und auch Angella aus dem Wald heraus. Der Weg war sehr weit – sie brauchten mehr als vier Tage, ihn zurückzulegen – und so entsetzlich, daß ich dir diesen Teil der Geschichte nicht erzählen kann, denn du würdest mir nicht glauben. Aber schließlich erreichten sie den Rand des Waldes, und vor ihnen lag das, wonach Tally so unendlich lange gesucht hatte...
6. Kapitel
Der Drachenfels
1
Der Drachenfels. Vor ihnen lag, wonach sie so lange gesucht hatte, fünfzehn – nein, mittlerweile beinahe schon siebzehn endlose Jahre ihres Leben. Der Drachenfels ...