»Was war das für eine Geheimsprache, Karan?« fragte Weller mißtrauisch. »Wo ist Jan hingegangen?«
»Jemand muß die Schleuse öffnen, oder?« fragte Karan ruhig. »Es sei denn, du willst das Boot über die Mauer heben.«
»Was für ein Boot?« fragte Tally rasch, ehe Weller vollends auffahren konnte. »Wohin fahren wir?«
»Wir nirgendwohin«, erwiderte Karan. »Du und dein Freund und –« Er deutete auf Weller. » – er, wenn er will. Karan wird euch sagen, was ihr zu tun habt. Es ist leicht.«
»So leicht, daß es außer dir noch keiner geschafft hat, wie?« fragte Weller mißtrauisch.
»Weil es niemand weiß«, sagte Karan. »Jetzt kommt. Die Zeit ist knapp bemessen. Wir haben viel zu tun.«
»Und was?« Weller rührte sich nicht von der Stelle.
»Ihr müßt das Boot beladen«, antwortete Karan. »Hinter euch sind Fackeln. Entzündet so viele, wie ihr könnt.« Weller wollte abermals widersprechen, aber Tally versetzte ihm einen so derben Stoß mit dem Ellbogen, daß aus seinem geplanten Protest ein ersticktes Keuchen wurde. Karan lächelte flüchtig, gab ihr seine eigene Fackel und verschwand in der Dunkelheit.
Schweigend taten sie, was Karan ihnen befohlen hatte. Tally entzündete ein gutes Dutzend Pechfackeln, die Weller in große, in Kopfhöhe an der Wand befestigten Halterungen steckte, und nach einer Weile wich die erstickende Schwärze einem schattenerfüllten Halbdunkel, in dem sie zwar noch immer nicht richtig sehen, ihre Umgebung aber halbwegs erraten konnten.
Der Schuppen bestand aus einem einzigen, gewaltigen Raum, und er war zu mehr als vier Fünfteln mit Wasser gefüllt. Tally und Weller standen auf einem kaum drei Schritte messenden gemauerten Streifen, unter dem das Wasser des Hafenbeckens sprudelte. Selbst hier drinnen schien es noch zu kochen. Das kleine, sonderbar schlank geformte Boote, das in der Mitte des Beckens lag, hüpfte wild auf und ab. Irgend etwas Großes, Helles bewegte sich unter Wasser.
Als sie alle Fackeln entzündet hatten, deutete Karan auf eine Anzahl großer, in Segeltuch eingeschlagene und sehr schwer aussehender Bündel, die am Ufer aufgestapelt waren. »Bringt sie an Bord«, sagte er.
Weller runzelte die Stirn und deutete auf das Boot.
»Und wie?« Das kleine Schiffchen – es war nicht sehr viel größer als ein Kanu und schien kaum lang genug, drei oder vier Passagieren Platz zu bieten – lag genau in der Mitte des kleinen Beckens: das Heck war gute fünf Meter vom Ufer entfernt. Und das Wasser brodelte selbst hier drinnen so, daß an ein Schwimmen nicht einmal zu denken war.
Statt einer Antwort hob Karan selbst eines der kleineren Bündel an, warf es sich über die Schulter – und trat mit einem entschlossenen Schritt ins Wasser hinab. Er ging nicht unter.
Seine Beine versanken bis über die Waden hinab im Wasser, und Tally konnte sehen, welche Mühe es ihm bereitete, gegen den enormen Sog des Wassers anzukämpfen, aber er ging nicht unter. Irgend etwas war dicht unter der Wasseroberfläche. Wieder sah sie einen gewaltigen hellen Umriß durch den spritzenden Schaum blitzen. Wie ein Segel, dachte sie, das unter Wasser gespannt war. Oder ein Ausleger. Aber wenn, dann . einer von gewaltigen Ausmaßen. Mitsamt den unter Wasser liegenden Teilen mußte das Boot das ganze Becken einnehmen.
Eine sehr ungute Ahnung stieg in ihr auf, wozu ein Boot mit solch gewaltigen Auslegern gut sein mochte, aber sie vertrieb sie, bevor sie zur Gewißheit werden konnte. Entschlossen bückte sie sich nach einem der Bündel, hob es ächzend auf die Schultern und sprang zu Karan ins Wasser hinab.
Es war ein Schock. Wie der Alte zuvor sank sie nur bis dicht über die Waden ein, aber unter ihren Füßen war kein fester Boden, sondern etwas zwar Hartes, aber Schwankendes, auf und ab Hüpfendes, das sie wie ein bockendes Pferd abzuwerfen versuchte, und das Wasser war eisig. Mit unsichtbaren Krallen riß und zerrte es an ihren Beinen. Es kostete sie all ihre Kraft, die kaum fünf Meter bis zu Karans Boot zurückzulegen. Sie fiel mehr hinein, als sie ging.
Trotzdem registrierte sie, daß der Rumpf des sonderbaren Schiffchens aus einem Holz erbaut war, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Es schien unglaublich leicht zu sein und sehr dünn; eher eine Art straffgespannter, steifer Stoff als Holz. Sie fragte sich vergeblich, wie ein solches Spielzeug gegen die Strömung des Flusses ankämpfen sollte, ohne zu zerbrechen. Aber sie verschob auch diese Frage auf später, ging unsicher zum Ufer zurück und lud sich das nächste Bündel auf die Schulter.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Boot auf diese Weise beladen war – Weller und sie gingen jeweils dreimal zum Ufer und zurück. Als sie fertig waren, war der schmale Innenraum des Kanus so vollgestopft, daß sich Tally fragte, wo um alles in der Welt noch drei Passagiere darin Platz nehmen sollten.
»Und jetzt?« fragte sie schweratmend.