»Grund?«, sagte Bast, und finstere Belustigung färbte seine Stimme. »Von wegen
»Das mag sein«, erwiderte der Chronist. »Aber vielleicht hat sie auch einfach nur eingesehen, dass es sinnlos wäre, vorhersagen zu wollen, was der Cthaeh tun wird.« Er machte eine lässige Geste. »Wenn ohnehin alles, was man macht, das Falsche ist, kann man ja letztlich machen, was man will.«
Bast saß einen ganzen Moment lang schweigend da. Dann nickte er, erst leicht, dann nachdrücklicher. »Ihr habt recht«, sagte er. »Wenn ohnehin alles ein schreckliches Ende nehmen wird, sollte ich tun, was ich tun will.«
Bast ließ den Blick durchs Zimmer schweifen und stand plötzlich auf. Nach kurzer Suche fand er einen dicken Umhang, der zerknautscht auf dem Boden lag. Er schüttelte ihn aus, warf ihn sich um die Schultern und eilte zum Fenster. Dort hielt er noch einmal inne, ging zum Sofa zurück und zog zwischen den Polstern eine Flasche Wein hervor.
Der Chronist guckte verdutzt. »Was habt Ihr vor? Geht Ihr noch einmal auf die Totenfeier?«
Bast blieb auf dem Weg zum Fenster kurz stehen und wirkte fast erstaunt, den Chronisten immer noch dort sitzen zu sehen. »Ich habe etwas zu erledigen«, sagte er und klemmte sich die Flasche unter den Arm. Dann öffnete er das Fenster und schwang einen Fuß hinaus. »Wartet nicht auf mich.«
Kvothe betrat entschlossenen Schritts sein Zimmer und machte die Tür hinter sich zu.
Er kehrte die kalte Asche aus dem Kamin und schichtete an ihrer Stelle frisches Brennholz auf, das er mit einem roten Schwefelholz in Brand setzte. Er holte sich eine zweite Decke und breitete sie über sein schmales Bett. Mit leichtem Stirnrunzeln hob er einen Papierknäuel auf, der zu Boden gefallen war, und legte ihn auf den Schreibtisch zurück, neben zwei weitere zusammengeknüllte Blätter.
Anschließend ging er mit mürrischen Bewegungen zum Fußende seines Betts. Er atmete tief durch, wischte sich die Hände an der Hose ab und kniete sich vor die dunkle Holztruhe, die dort stand. Er legte beide Hände auf den gewölbten Deckel und schloss die Augen, als horche er auf etwas. Seine Schulter bewegten sich, während er an dem Deckel zog.
Nichts geschah. Kvothe schlug die Augen wieder auf. Er kniff den Mund zusammen. Seine Hände bewegten sich erneut, zogen fester, strengten sich einen ganzen Moment lang an und gaben es dann auf.
Mit ausdrucksloser Miene erhob sich Kvothe und ging zum Fenster, das auf den Wald hinterm Haus hinausging. Er öffnete es, beugte sich hinaus und griff mit beiden Händen nach etwas. Als er sich wieder zurück beugte, hielt er ein schlankes Holzkistchen in der Hand.
Er strich eine Schicht Staub und Spinnweben fort und öffnete das Kistchen. Darin lagen ein Schlüssel aus dunklem Eisen und ein Schlüssel aus blankem Kupfer. Kvothe kniete sich wieder vor die Truhe und schob den Kupferschlüssel in das Eisenschloss. Langsam und präzise drehte er ihn: nach links, dann nach rechts und dann wieder nach links, wobei er ganz genau auf das leise Klicken eines Mechanismus lauschte.
Dann nahm er den Eisenschlüssel und steckte ihn in das Kupferschloss. Diesen Schlüssel drehte er nicht. Vielmehr schob er ihn tief in das Schloss hinein, zog ihn halb wieder heraus und schob ihn wieder ganz hinein, ehe er ihn mit einer flinken Bewegung aus dem Schloss herauszog.
Nachdem er die Schlüssel in das Kistchen zurückgelegt hatte, legte er die Hände wieder auf den Deckel der Truhe, an den gleichen Stellen wie zuvor. »Öffne dich«, murmelte er. »Öffne dich, verdammt noch mal. Edro.«
Er zog, und seine Schultern und sein Rücken spannten sich an.
Doch der Deckel der Truhe rührte sich nicht. Kvothe seufzte und beugte sich vor, bis seine Stirn an dem kühlen, dunklen Holz ruhte. Er atmete tief aus und ließ die Schultern hängen und sah nun klein und angeschlagen aus, entsetzlich müde und älter, als er war.
Seinem Gesicht war jedoch weder Erstaunen noch Kummer anzusehen. Er wirkte nur vollkommen resigniert. Es war der Gesichtsausdruck eines Mannes, der nun schließlich eine schlechte Nachricht erhalten hat, von der ihm schon eine ganze Weile schwante.
Kapitel 152
Holunderbeere
Es war keine Nacht, die man im Freien verbringen wollte.
Die Wolken waren spät gekommen und hatten sich wie eine graue Decke über den Himmel gelegt. Der Wind war kalt und böig, und immer wieder prasselten heftige Regenschauer hernieder, die dann in Nieselregen übergingen.