Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

Mama, siehst du Opa Rafik ähnlich?, frage ich, als sie sich an den Tisch setzt und Brot auspackt. Sie schneidet die Tomate auf. Ich warte und stelle die Frage noch einmal, jetzt erst hält Mutter inne, Messerschneide auf der Tomate. Was für ein Opa war Opa Rafik?, frage ich weiter, warum spricht niemand über ihn? Wie soll ich jemals wissen, was für einen Opa ich hatte?

Mutter legt das Messer zur Seite und die Hände in den Schoß. Mutter hebt die Augen. Mutter sieht mich an.

Du hattest keinen Opa, Aleksandar, du hattest einen Traurigen. Der trauerte um seinen Fluss und seine Erde. Der kniete sich hin, kratzte in dieser seiner Erde, bis ihm die Fingernägel brachen und Blut kam. Der streichelte Gras und roch daran und weinte in die Grasbüschel wie das kleinste Kind – meine Erde, wie bist du mir getreten und jedem Gewicht ausgeliefert. Du hattest keinen Opa, einen Dummen hattest du. Der soff und soff. Der aß Erde, würgte Erde, kroch dann auf allen vieren ans Ufer, spülte sich mit dem Flusswasser den Mund aus. Wie liebte dein Trauriger seinen Fluss! Seinen Cognac – dein Dummer, der nur lieben konnte, was er unterjocht und gedemütigt sah. Der nur lieben konnte, wenn er soff und soff.

Drina, welch vernachlässigter Fluss, welch vergessenes Schön!, heulte er, wenn er aus einer der Kneipen getorkelt kam, einmal das Brillengestell verbogen, ein anderes Mal die Hose voll gepisst, dieser Gestank! Welch liederliche Marotte das Alter, weinte er, wenn er stolperte und fiel, sich am Fluss festhalten wollte, um nicht abzuheben. Wie oft fanden wir ihn nachts unter dem ersten Brückenbogen, bäuchlings, die Finger in die Wasseroberfläche gekrallt. Aufgedunsene Hände, blau, halb zu Fäusten geballt. Blumen hielt er in den Fluss, Steine, manchmal eine Cognacflasche. Jahre ist das so gegangen. Seit sie die Eisenbahn abgeschafft hatten, seit kein Zug mehr durch die Stadt fuhr, dem dein Trauriger Weichen stellen, Signale setzen und Schranken heben konnte. Er verlor seine Arbeit und verlor darüber kein Wort, es gab nichts mehr zu tun, und es gab nichts zu sagen. Er wurde in Rente geschickt und versoff sie Tag um Tag, erst heimlich, oben am Bahnhof, der keiner mehr war, wo aber noch die alte Lokomotive stand. Später am Fluss und mitten in der Stadt, voll plötzlicher, dummer Liebe zum Wasser und zu seinen Ufern.

Keinen Opa, einen Verbitterten hattest du. Der trank und trank und trank sich lebensmatt. Wenn er doch bloß Schach oder die Partei oder uns so geliebt hätte wie seine Züge und dann seinen Fluss, am meisten seinen Weinbrand! Wenn er doch bloß auf uns gehört hätte und nicht auf die tiefe, unergründliche Drina!

Am Abend der Nacht, in der er starb, ritzte dein Gehetzter Buchstaben ins Ufer. Drei Liter Wein hatte er getrunken, ein abgeschlagener Flaschenhals war sein Stift, er schrieb dem Fluss einen langen Brief. Wir zogen ihn an den Füßen aus dem Schlamm, er winselte und schrie in den Fluss: wie soll ich dich, wie soll ich allein etwas so Großes retten?

Dass etwas dermaßen Trauriges so stinken kann! Man hatte uns gerufen, als seine Schreie und seine Lieder unerträglich geworden waren. Auf den Armen trug Papa ihn nach Hause, legte ihn mitsamt der Kleidung in die Badewanne, wo sich dein Besoffener zweimal wütend übergab, alle Angler verfluchend, mögen sich eure Waffen gegen eure eigenen Münder wenden, weil ihr im Flussmagen mit den Haken so stochert, den Fischen – was für ein stummer Schmerz! – die Lippen zerreißt! Soll eure Haut, Verbrecher, abgezogen werden mit stumpfen Messern, hol euch die Tiefe, Boote, Drecksbenzin, alle Wehre, alle Turbinen, alle Bagger! Ein Fluss: nur Wasser und Leben und Kraft und nichts sonst!

Um Mitternacht wusch ich ihm das Haar und den Schildkrötennacken, wusch ihn hinter den Ohren und unter den Achseln. Er küsste meine Hände und sagte, er wisse genau, wer ich sei. Trotz Tränen erkenne er, wessen Knöchel er streichele und erinnere alles: was für ein Kleinod die Liebe sei und was für ein Drecksack das Schicksal.

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