Auf dem Romanija war es Nacht, Morgen, kalt und Frühling in einem. Vater und Sohn stiegen aus, der große Mann streckte sich und kratzte sich den Schnurrbart. Zoran gähnte, hob einen Stein auf und warf ihn in den Nebel. Auf den Gräsern und den Schuhen lag der Tau. Sie pinkelten links und rechts an einer Tanne vorbei, bergab durch Nebelzement, pfiffen jeder für sich, jeder fröhlich. Walross lehnte sich an die warme Motorhaube, eine Hand in der Hosentasche, in der anderen die Zigarette. Zoran pflückte Löwenzahn und Gänseblümchen und etwas Hellblaues, das er nicht kannte, und drückte sie zu einem Strauß. Er packte die restlichen Rippchen aus und wickelte die Stängel in die Alu-Folie. Er hielt von Blumen nicht viel, und genauso sah der Strauß auch aus, scheiße, lobte ihn sein Vater, aber Blumen sind Blumen, deine Mutter wird sich freuen.
Sie freute sich nicht. Die Haustür stand offen, offen trug Zorans Mutter ihr Haar. Sie freute sich nicht, sie war nackt, aber warum eigentlich Nebelzement?, fragte sich Zoran. Niemals war etwas so weich gewesen wie der Nebel auf dem Romanija, an dem Sonntag, als Zoran und sein Vater Milenko, genannt Walross, schon am Morgen das Haus betraten, sechs Stunden früher als geplant. Die Tür stand offen, offen stand auch der Reißverschluss von Bogoljub Balvan, dem Trafikanten.
Zoran sitzt auf der Treppe vor Meister Stankovskis Frisörladen und starrt auf ein Foto zwischen seinen Händen. Zoran mag die Prinzessinnen unter den Mädchen – langes Haar müssen sie haben, blass und schlank müssen sie sein, und stolz. Wie die Frau auf dem Foto. Und wie Ankica, Zorans Ankica mit den schwarzen Locken.
Ich setze mich neben ihn und reiche ihm die Tüte mit den Sonnenblumenkernen. Zoran ist drei Jahre älter als ich, und ich darf gelegentlich etwas für ihn erledigen. Heute musste ich mit seiner Ankica reden. Ich musste mich bei Zorans Ankica für Zoran entschuldigen.
Obwohl der Laden geschlossen bleibt, muss Zoran auch heute ran. Er soll Meister Stankovski beim Packen helfen, weil der ein paar Tage in Urlaub fährt. Urlaub – ja, klar, sagte Zoran, als ich ihn heute Morgen zum ersten Mal traf, und zog mit dem Zeigefinger die Haut unter seinem Auge nach unten.
Natürlich, sagte ich und machte dasselbe.
Sonst kehrt Zoran das Haar zusammen, poliert die Spiegel und reinigt mit winzigen Bürsten die beiden Panesamig-Rasierer. Meister Stankovski behauptet, die seien besser als Panasonic – schärfer und billiger, und Hand aufs Herz: woher sollen Japaner auch wissen, was Bärten gut tut?
Sieht meine kleine Österreicherin nicht wie Ankica aus?, fragt Zoran, als ich ihm die Sonnenblumenkerne reiche und wischt unsichtbare Staubkörner von dem zerknitterten Schwarz-Weiß-Bild.
Ihre Augen kommen mir bekannt vor, nicke ich und sehe mir die junge Frau mit den langen Locken und einer weißen Kleidglocke genauer an. Ich habe das Foto schon oft gesehen, Zoran zeigt es immer, wenn er von Österreich oder von Mädchen schwärmt.
Die gucken da alle so, sagt Zoran und die Prinzessin mustert uns streng, kannst du dir das vorstellen – ein Land, in dem alle Mädchen so gucken? Irre!
Du, Zoran, sage ich, die guckt ja wie Bruce Lee …
Ganz genau, gibt er verträumt und gar nicht überrascht zurück, die Österreicherinnen gucken alle wie Bruce Lee. Haben aber schöneres Haar und diesen Hals …
Wir schweigen beide und sehen uns das Foto an. Diesen Hals! Zoran riecht an den Sonnenblumenkernen. Es ist nicht schwer mit Zoran zu schweigen, denn es ist nicht leicht, mit ihm zu reden. Ihn interessieren nur Bücher, Prinzessinnen, allen voran Ankica, Österreich und sein Vater, das Walross. Immer steckt ein Buch hinten in seiner Jeanstasche, die Jeans ist ausgewaschen, auf seinen Turnschuhen ein weißer Stern.
Grissgott, flüstert er zu dem Foto und küsst die Ecke, in der in geschwungenen Buchstaben Hissi oder Sissi zu lesen ist. Grissgott, kiss die Hand, scheene Frau! Zorans Lippen sind leicht vorgeschoben, wenn er Österreichisch spricht, gespitzt für einen kleinen Kuss. Kiss die Hand, hibsche Frau, kiss die Hand! Kung Fu!
Zoran lehnt sich nach hinten auf die Stufen und kneift die Augen zusammen. Die Sonne steht tief, kaum jemand ist auf der Straße zu sehen. Mit Zoran schweigen ist auch deswegen leicht, weil man nie weiß, wie man ihm eine Frage stellen soll.
Wo warst du so lange?, fragt er mich, und spuckt eine Schale im hohen Bogen auf die Straße.
Kurz zu Hause. Meine Alten haben gestritten, ich habe an der Tür gelauscht.
Wer war schuld?
Ging nicht um sie. Ging darum, dass alle wegfahren. Und um die Lage. Lage, Lage, Lage … Was sich anbahnt, was man tun soll und so.
Hm. Zoran knackt einen Kern zwischen den Zähnen, legt das Foto auf die Treppe und fährt sich mit der Hand durch das Haar. Was bahnt sich denn an?
Keine Ahnung, da hat meine Alte die Tür aufgerissen.
Hm.
Wenn ich mit Zoran rede, nenne ich meine Eltern »die Alten«. Wir schweigen wieder, man hört nur das Knacken und das Spucken. Ein Spatz landet vor den Schalen.