Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

Die haben mein ganzes Dorf ausgelöscht, sagt Radovan, aber ehrlich, ich hatte noch ein Leben! Ich habe in Medikamente investiert, dann in Schrott. Irgendwann war aber alles Schrott, die Stadt, das ganze Scheißland war Schrott, und Schrott war nichts mehr wert. Ich habe einen Raum gemietet, Kaffee und Grillfleisch verkauft und das ganze »McRadovan« genannt. Eine Kneipe von vielen, aber ich war die erste, in der man wetten konnte. Alle sind sie gekommen, meine Ärzte, meine Blauhelme, meine Flüchtlinge, meine Politiker, meine Erfinder, meine Schmuggler. Der Einzige, der gewonnen hat, war aber ich, McRadovan Bunda.

Radovan ist ein stämmiger Mann, sorgfältig rasiert und sonnengebräunt. Dass er lange Wörter meistens auf der ersten Silbe betont, ist ein letztes Überbleibsel seines Dialekts, sein Haarwachs riecht nach Apfel. Radovan raucht nicht und beschreibt, wenn er von Geld spricht, mit den Händen einen Kreis in der Luft, die Finger weit gespreizt. Der ganze fünfte Stock gehört ihm. Er hat die Zwischenwände durchbrochen, Wohnungen zu weitläufigen Zimmern zusammengeschlossen und die ganze Front zur Straße verglast. Er hat Büros eingerichtet, ein üppiges Schlafgemach mit Himmelbett und vergoldetem Spiegelrahmen, zwei Gästezimmer gibt es, Radovan sagt: unsere Hotels kannst du niemandem zumuten. Er zeigt mir alles, findet die Bilder in den Büros zu kitschig, aber seine Mitarbeiter mögen sie. Radovan lächelt. Meine Mädchen singen, sagt er. Die Musik gibt es noch nicht, aber ein Video. Er führt es mir vor, Princess Bitch und die Rothaarige tanzen. Radovan spielt darin Radovan mit Hut.

Der Speicher, in dem sich Asija versteckt hatte, ist jetzt eine aufgeräumte Abstellkammer. Radovan öffnet die Luke zum Dach und sofort sind gackernde Hühner zu hören. Die haben sich irgendwann von dem Schock erholt, sagt er und streut eine Hand voll Körner aus. Radovan Bunda stellt sich an den Rand des Hochhauses und sieht auf die erwachende Stadt.

Ich habe Listen gemacht. Zoran Pavlović. Mein Zoran. Walross’ Zoran. Besitzer von Meister Stankovskis Frisörladen. Ich sitze auf dem alten Frisörstuhl, Zoran steht hinter mir, links eine Haarspange, rechts eine große Schere. Zorans lange Arme, Zorans schmale Lippen, Zorans ernste, unbewegliche Miene.

Wo hast du eigentlich gelernt?, frage ich und fahre mir mit der Hand durchs Haar.

Hier und da, das Meiste bei Stankovski. Ich lege jetzt los, ja? Alles ab?

Alles. Ich ziehe die Hand zurück, verstecke sie unter dem Umhang. Zoran klammert mein Haar mit der Spange zu einem Zopf und setzt die Schere an.

Aleks?

Ja?

Mann, Mann, Mann …

Was?

Sieh dir uns doch mal an! Guck mal in den Spiegel!

Zoran hält meinen Zopf in der Hand, unsere Blicke treffen sich im Spiegel. Wenn das ein Problem ist …, sage ich.

Ach, was Problem, Mann. Alles ab?

Komm schon, sonst überlege ich es mir noch.

Mein Zoran. Walross’ Zoran. Die Schere trennt ab, er zeigt mir den Zopf. Im Gesumm des Panesamig-Rasierers schweigen wir. Ich bin Zorans letzter Kunde. Er schließt den Laden und schlägt den Jackenkragen hoch. Du isst heute bei uns zu Abend, sagt er. Ich fahre mir mit der Hand über den Schädel. Zoran steckt die Hände in die Taschen, zieht die Schultern vor dem kühlen Abend hoch, windig und sternenlos ist es.

Die rote Fassade und die schwarzen Fensterrahmen waren natürlich Milicas Idee, und in der ersten Zeit nach der Renovierung ging kaum jemand an Walross’ Haus vorbei, ohne lachend oder kopfschüttelnd stehen zu bleiben. Ich musste die Schande übertünchen, erzählte der große Mann jedem, der es wissen wollte, auch innen haben wir gestrichen. Zoran, sein Vater und seine Stiefmutter zogen in das Haus, nachdem Walross gleich am ersten Tag seiner Rückkehr Desas Saisonarbeiter rausgeworfen hatte. Beim Moussaka mit Ei, zu dem mich Zoran eingeladen hat, sagt Milica lachend: Desa hat zwar herumgezickt, aber dann habe ich mal ein Wörtchen mit ihr gewechselt. Milica trägt ein rot-schwarzes Holzfällerhemd, schwarze Jeans und unter den großen blauen Augen immer noch keine einzige Falte.

Alles neu, Halunke, sagt Walross zu mir, steht kauend auf, und breitet mitten im Wohnzimmer die Arme aus. In drei Monaten haben meine Milica und ich das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Walross’ Schnurrbart ist ab, ich starre auf das, was fehlt zwischen Nase und Lippe, ich komme kaum zu Wort.

Diese drei Monate verbrachte Zoran im Grazer Gefängnis, auf die Abschiebung wartend, nachdem er an einem nebligen Märzmorgen die österreichische Grenze hatte überqueren wollen. Walross erzählt die Geschichte, während Zoran die Kartoffeln salzt, den Blick unverwandt auf seinen Teller gerichtet. Walross erzählt, wie dicht der Nebel war, in dem sich sein Sohn verstecken wollte, wie wenig gefehlt hat, dass Zoran den Grenzposten entwischt wäre, wie schlecht das Essen im Gefängnis war. Der Nebel, sagt er und tupft sich den Mund mit Brot ab, immer der Nebel in unseren Geschichten.

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