Читаем Wie der Soldat das Grammofon repariert полностью

Ich habe Listen gemacht. Ich sitze im fünften Stock bei Radovan Bunda, während seine Frau mir den ersten Kaffee meines zweiten Tages in Višegrad serviert. Es ist früher Morgen, ich musste einen Termin machen, sieben Uhr war der einzig freie. Kraftstrotzend, nicht ein Mal im Leben krank gewesen und nie um einen Fluch verlegen, war Radovan Bunda früher ein gern gesehener Gast bei den Festen meiner Urgroßeltern in Veletovo. Im Winter einundneunzig verließ er sein Dorf, in dem man sich vor der Elektrizität, dem Jeansstoff und dem Vollmond fürchtete, und zog nach Višegrad. Am ersten Tag in der Stadt verkaufte er seine Schafe und mietete sich die Wohnung im fünften Stock. Seine beiden Kühe bekam er nicht durch das Treppenhaus und verkaufte auch sie. Von dem Geld kaufte er einen Stuhl, einen Tisch, seinen ersten Staubsauger, seinen ersten Kühlschrank und sein erstes Mineralwasser mit Kohlensäure. Er züchtete Hühner auf dem Dach, das Kukuriku des Hahns erklang noch vor dem Muezzin und weckte das ganze Haus. Dann aber schlug am ersten Tag der Gefechte um Višegrad eine Granate oben ein und keines der Hühner gab jemals wieder ein Gackern von sich. Als Radovan seine stummen Hennen sah, beschloss er, aus der Stadt zu fliehen. Er lud die Hühner in den Kühlschrank und den Kühlschrank auf den Rücken und wanderte los. Einen sichereren Ort als sein altes Dorf habe er sich nicht vorstellen können, erzählt er mir und gibt Süßstoff in seinen Kaffee. Den Blick auf die Tasse gerichtet, sagt er: mein Dorf war aber kein Dorf mehr, weil für Dörfer brauchst du Menschen. Ich bin von Tür zu Tür gegangen, alle Schlösser waren aufgebrochen, und in den Schlafzimmern schliefen sie nicht, in den Schlafzimmern lagen sie tot. In Betten, auf roten Kissen. Alle Serben, und wir waren, bis auf ein Haus, alle Serben. Es war das Haus vom guten Mehmed, ich habe geklopft, er hat aufgemacht, er hat gesagt: mein Radovan. Er hat mir seine Hände gezeigt und mich wie einen Bruder umarmt.

Radovan macht eine Pause, rührt in seinem Kaffee, nimmt einen Schluck. Von der Straße dringt das Summen der Motoren zu uns, Rufe, ein Pfiff. Die schlimmste Nacht, sagt Radovan und presst die Lippen zusammen, die Hunde haben sie mit Benzin übergossen und an der Leine angezündet. Meine Großmutter, die einen schlechten Schlaf hatte und sich nachts auf der Veranda müde schaukelte, haben sie neben der Schaukel gehenkt. Alle anderen erschossen, und sie baumelte dort. Sollte das wie Selbstmord aussehen? Nie wäre sie von alleine darauf gekommen, so was Dummes, hätte sie gesagt, ich habe doch nur dieses Eine!

Radovan Bunda beerdigte das Dorf und trat mit den Hühnern den Rückweg an, um Rache zu nehmen. Unterwegs sammelte er vierzehn spitze Steine für jedes der vierzehn Opfer und weinte sieben Tage lang. Sechs Nächte machte er kein Auge zu und in der siebten gestand er sich ein, kein Mörder sein zu können. Hass kann ich, Blut kann ich nicht. Ich werde reich, habe ich mir gesagt, und dann mal sehen. Ich bin wieder hier eingezogen und habe mich von allem fern gehalten, ehrlich. Beim Herrn Musikprofessor Popović habe ich schreiben gelernt, auch besser sprechen, schneller denken und gewitzt schmeicheln gelernt, ein Jahr lang jeden Tag beim Herrn Popović, er hat zum Abschied immer Klavier gespielt. Dann hat er Mozart vergessen, dann hat er Brahms vergessen, dann hat er Vivaldi vergessen, am Ende ist ihm nur noch Bach geblieben. Willst du reich werden, mein Radovan, musst du die Rhetorik beherrschen! Das hat der Herr Musikprofessor zu mir gesagt, da ging es ihm noch gut.

Radovan verkaufte alles außer die Hühner. Mit dem Geld lud er Schmuggler und Diebe zum Abendessen ein, lauschte, wenn sich Politiker und Angeber unterhielten, sah einem Arzt und drei Blauhelmen beim Pokern zu und gab dem Arzt Zeichen.

Und als ich genug darüber erfahren hatte, wie die Dinge laufen, sagt Radovan und breitet die Arme aus, habe ich einen Laster angehalten und mich mit dem Fahrer ein bisschen gezankt, nicht schlimm. Das Ding war voll mit Medikamenten und unterwegs zu einem Bürgermeister, der sie weiterverkaufen wollte. Den Laster habe ich bei einem meiner Schmuggler untergestellt und dem Poker-Arzt habe ich gesagt: so, jetzt bist du dran.

Radovans Kühlschrank ist heute der einer amerikanischen Großfamilie. Zusätzlicher Wohnraum, begehbar. Auf dem engen Top seiner blonden Frau steht »Princess Bitch« in Glitzersilber. Eine zweite, rothaarige Frau kommt herein und küsst Radovan auf den Mund – ich muss das Beziehungsgeflecht hier überdenken. Radovan stellt mir beide Frauen mit Vornamen vor, bei beiden klingt es nach Ypsilon am Namensende, beiden langt er an den Hintern. Princess Bitch und die Rothaarige rauchen am Fenster, weit vornübergebeugt in den Višegrader Morgen.

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