Читаем Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7) полностью

So hörte allmählich das, worauf sie wartete, zu existieren auf. Zuerst war es vor ihr gewesen, jetzt lag es hinter ihr, und sie hatte nicht gespürt, wann es vorbeiging, den Augenblick der Erfüllung. War Alexandra schon in Frankreich angekommen? Die Ostrakowa hielt dies langsam für möglich. Mit einem für sie neuen und untröstlichen Gefühl der Enttäuschung musterte sie die Gesichter der jungen Mädchen auf der Straße und fragte sich, wie Alexandra wohl aussehen möge. Wenn sie nach Hause kam, fiel ihr Blick automatisch auf den Dielenteppich, in der Hoffnung, eine handgeschriebene Nachricht oder einen pneumatique vorzufinden: »Mama, ich bin da. Ich wohne im Soundso-Hotel ...« Ein Telegramm mit der Flugnummer: Eintreffe Orly morgen, heute abend; oder war es nicht Orly, sondern Roissy-Charles de Gaulle? Sie kannte sich in Fluglinien nicht aus, ging also in ein Reisebüro, nur um zu fragen. Beides war möglich. Sie erwog sogar, sich die Kosten für einen Telefonanschluß vom Herzen zu reißen, nur damit Alexandra sie anrufen könne. Aber was um alles in der Welt erwartete sie sich eigentlich nach all den Jahren? Tränenreiche Wiedervereinigung mit einem Kind, mit dem sie nie vereint gewesen war? Nostalgisches Wiederknüpfen eines Familienbandes, das sie vor mehr als zwanzig Jahren bewußt durchschnitten hatte? Ich habe kein Recht auf das Mädchen, verwies sie sich streng; ich habe nur Schulden und Pflichten. Sie fragte in der Botschaft nach, aber dort wußte man auch nicht mehr. Die Formalitäten seien erfüllt, hieß es. Mehr wüßten sie nicht. Und wenn sie, Ostrakowa, nun ihrer Tochter Geld schicken wollte? fragte sie listig - für den Flug zum Beispiel oder das Visum? - könne man ihr vielleicht eine Adresse geben, eine Stelle benennen, über die Alexandra zu erreichen sei?

Wir sind kein Postamt, lautete der Bescheid. Die plötzliche Frostigkeit erschreckte die Ostrakowa, sie ging nicht mehr hin. Darauf machte sie sich wieder Gedanken um die paar verwischten Fotos, die alle gleich waren, und die man ihr zum Anheften an die Formulare gegeben hatte. Diese Fotos waren alles, was sie je zu Gesicht gekriegt hatte. Sie wünschte, sie hätte Kopien davon machen lassen, doch das war ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Törichterweise hatte sie angenommen, sie werde bald das Original kennenlernen. Sie hatte die Fotos nicht länger als eine Stunde in Händen gehabt! Sie war damit straks von der Botschaft zum Ministerium geeilt, und als sie von dort wegging, hatten die Fotos bereits ihren bürokratischen Dienstweg angetreten. Aber sie hatte die Bilder genau betrachtet! Mein Gott, und wie genau, jedes einzelne, obwohl sie wirklich alle gleich waren! In der Metro, in den Vorzimmern des Ministeriums, sogar unterwegs auf der Straße hatte sie auf dieses leblose Konterfei ihres Kindes gestarrt und mit aller Macht versucht, in den ausdruckslosen grauen Schatten irgendeinen Hinweis auf den geliebten Mann zu finden. Vergeblich. Bis jetzt hatte sie sich, wenn sie überhaupt daran zu denken wagte, vorgestellt, die Heranwachsende trüge Glikmans Züge, so klar, wie das neugeborene Kind sie getragen hatte. Es war doch ganz und gar unmöglich, daß ein so kraftvoller Mann wie Glikman in Alexandra nicht für immer weiterleben sollte. Doch die Ostrakowa sah nichts von Glikman auf diesem Foto. Er hatte sein Judentum wie eine Fahne getragen. Es war ein Teil seiner einsamen Revolution gewesen. Er war nicht orthodox, nicht einmal gläubig, und er mißbilligte ihre heimliche Frömmigkeit fast so sehr, wie er die Sowjetbürokratie verabscheute - und doch hatte er sie um ihre Brennschere gebeten und sich Schläfenlöckchen fabriziert, wie die Chassidim sie tragen, nur um dem Antisemitismus der Behörden eine Zielscheibe zu bieten, wie er sich ausdrückte. Doch in dem Gesicht auf dem Foto erkannte sie nicht einen Tropfen seines Blutes wieder, nicht den geringsten Funken seines Feuers - obwohl dieses Feuer, nach Aussage des Fremden, gewaltig in dem Mädchen loderte.

»Wenn sie eine Leiche fotografiert hätten, um zu diesem Bild zu kommen«, dachte die Ostrakowa laut in ihrer Wohnung, »dann würde mich das nicht wundern.« Und mit dieser unverblümten Feststellung gab sie ihrem wachsenden inneren Zweifel zum erstenmal äußeren Ausdruck.

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