»Was ist passiert?«, fragt sie mit furchtsamer Stimme.
»Wir wissen fast nichts, aber gestern Morgen hat Penelope versucht, Sie anzurufen.«
»Sie lebt«, sagt Claudia Fernandez.
»Ja, das tut sie«, antwortet Joona.
»Gott sei Dank«, flüstert sie. »Gott sei Dank …«
»Wir haben eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter abgefangen.«
»Auf meinem … Nein«, sagt sie und steht auf.
»Es sind so viele Störgeräusche zu hören, dass man eine Spezialausrüstung benötigt, um ihre Stimme herauszufiltern«, erläutert Joona.
»Die einzige … Da ist ein Mann auf dem Band, der sagt, dass ich mir eine Arbeit suchen soll.«
»Ja, das stimmt«, erwidert Joona. »Penelope spricht vorher, aber man hört es nicht …«
»Was sagt sie?«
»Sie sagt, dass sie Hilfe braucht. Die Wasserschutzpolizei ist dabei, eine Suchaktion zu organisieren.«
»Spüren Sie das Telefon auf, es muss doch möglich sein …«
»Frau Fernandez«, sagt Joona ruhig, »ich muss Ihnen einige Fragen stellen.«
»Was denn für Fragen?«
»Wollen wir uns setzen?«
Sie gehen durch den Flur in die Küche.
»Joona Linna, darf ich Sie etwas fragen?«
»Fragen Sie, aber ich weiß nicht, ob ich Ihnen antworten kann.«
Claudia Fernandez stellt Kaffeetassen auf den Tisch. Ihre Hand zittert leicht. Sie setzt sich ihm gegenüber an den Tisch und sieht ihn lange an.
»Sie haben Familie, oder?«, fragt sie.
Es wird still in der hellen gelb gestrichenen Küche.
»Wissen Sie noch, wann Sie das letzte Mal bei Penelope zu Hause waren?«, fragt Joona nach einer Weile.
»Letzte Woche, am Dienstag. Sie hat mir geholfen, zwei Hosen für Viola zu kürzen.«
Joona nickt und sieht Claudias Fernandez’ Mund zittern, als sie die Tränen unterdrückt.
»Denken Sie jetzt gut nach, Frau Fernandez«, sagt er und lehnt sich vor. »Hing an ihrer Glastür ein Foto?«
»Ja.«
»Was war darauf zu sehen?«, fragt Joona und versucht, ruhig zu sprechen.
»Das weiß ich nicht mehr, ich habe nicht richtig hingesehen.«
»Aber Sie erinnern sich, dass da ein Bild war, da sind Sie sich sicher?«
»Ja«, nickt Claudia Fernandez.
»Könnten Menschen auf dem Foto gewesen sein?«
»Ich weiß es nicht, ich dachte, es hätte etwas mit ihrer Arbeit zu tun.«
»Wurde das Foto in einem Haus oder im Freien gemacht?«
»Keine Ahnung.«
»Versuchen Sie, es vor Ihrem inneren Auge zu sehen.«
Claudia Fernandez schließt die Augen, schüttelt dann aber den Kopf.
»Ich kann nicht.«
»Versuchen Sie es, es ist wichtig.«
Sie senkt den Blick, denkt nach und schüttelt erneut den Kopf.
»Ich erinnere mich nur, dass ich es seltsam von ihr fand, ein Foto an die Tür zu hängen, das sieht doch nicht aus.«
»Warum dachten Sie, es hätte etwas mit ihrer Arbeit zu tun?«
»Ich weiß es nicht«, flüstert Claudia Fernandez.
Als das Handy in seinem Jackett klingelt, entschuldigt Joona sich, zieht es heraus, sieht, dass es Carlos ist, und meldet sich:
»Ja.«
»Ich habe gerade mit Lance von der Wasserschutzpolizei auf Dalarö gesprochen, und er sagt, dass sie morgen eine Suchaktion organisieren werden. Dreihundert Freiwillige und fast fünfzig Boote haben sich gemeldet.«
»Gut«, sagt Joona und sieht Claudia Fernandez in den Flur hinausgehen.
»Außerdem habe ich Erixon angerufen, um mich zu erkundigen, wie es ihm geht«, sagt Carlos.
»Er scheint auf dem Weg der Besserung zu sein«, erwidert Joona neutral.
»Joona, ich will gar nicht wissen, was ihr da treibt … aber Erixon hat mich gewarnt, er meinte, ich würde zugeben müssen, dass du mal wieder recht gehabt hast.«
Als er das Gespräch beendet hat, geht Joona in den Flur und sieht, dass Claudia Fernandez Jacke und Gummistiefel angezogen hat.
»Ich habe gehört, was er am Telefon gesagt hat«, erklärt sie. »Ich kann bei der Suche helfen, ich kann die ganze Nacht suchen …«
Sie öffnet die Tür.
»Frau Fernandez, Sie müssen die Polizei ihre Arbeit machen lassen.«
»Meine Tochter hat mich angerufen und braucht Hilfe.«
»Mir ist bewusst, wie schrecklich es für Sie ist, hier zu warten …«
»Bitte, kann ich Sie nicht begleiten? Ich werde nicht im Weg stehen, ich kann kochen und das Telefon übernehmen, damit Sie sich darüber keine Gedanken machen müssen.«
»Gibt es niemanden, der Ihnen Gesellschaft leisten kann, eine Verwandte oder Freundin oder …«
»Ich will hier niemanden sehen, ich will nur Penny zurückhaben«, unterbricht sie ihn.
Spende Boerse
34
Auf Erixons Schoß liegen eine Mappe und ein großer Umschlag, die ein Bote in seinem Krankenhauszimmer abgeliefert hat. Er hält sich einen kleinen surrenden Handventilator vors Gesicht, während Joona ihn im Rollstuhl durch den Korridor schiebt.
Seine Achillessehne ist genäht und statt in einem Gips ist sein Fuß in einer Art Spezialstiefel fixiert worden, in dem die Zehen nach unten zeigen. Erixon hat sich beschwert, dass er für den anderen Fuß auch so einen Schuh bräuchte, wenn sie Schwanensee sehen wollten.
Joona nickt freundlich zwei alten Frauen zu, die auf einer Couch sitzen und sich an den Händen halten. Sie kichern, tuscheln und winken ihm zu wie Schulmädchen.