Joona hört Erixon durch die Nase atmen, während er ihm erzählt, dass Penelope und Björn die Nacht zum Freitag nicht gemeinsam verbracht haben. Sie wurde um 6.40 Uhr von einem Taxi abgeholt und zum Fernsehsender gebracht, wo sie an einer Diskussion teilnehmen sollte. Nur eine Minute nachdem das Taxi die Sankt Paulsgatan verlassen hatte, betrat Björn die Wohnung. Joona erzählt Erixon von dem Handabdruck auf der Glastür, den Klebestreifen und der abgerissenen Ecke und erklärt, er jedenfalls sei davon überzeugt, dass Björn Almskog Penelopes Abfahrt abgewartet habe, um anschließend ohne ihr Wissen schnellstmöglich die Fotografie holen zu können.
»Außerdem glaube ich, dass der Mann, der uns angegriffen hat, ein Profikiller ist, der nach diesem Foto gesucht hat, als er von uns überrascht wurde«, fährt Joona fort.
»Das klingt plausibel«, flüstert Erixon.
»Er wollte nur aus der Wohnung entkommen und hat es nicht darauf angelegt, uns zu töten«, sagt Joona.
»Denn sonst wären wir jetzt tot«, führt Erixon Joonas Gedankengang fort.
Es knistert im Telefon, und Erixon bittet jemanden, ihn in Ruhe zu lassen. Joona hört eine Frau wiederholen, es sei Zeit für die Krankengymnastik, und Erixon fauchen, es handele sich um ein Privatgespräch.
»Jedenfalls können wir annehmen, dass der Killer das Foto nicht gefunden hat«, fährt Joona fort. »Denn wenn er es auf dem Boot gefunden hätte, wäre es nicht mehr nötig gewesen, in Penelopes Wohnung zu suchen.«
»Und bei ihr zu Hause war es nicht, weil Björn es schon geholt hatte.«
»Ich glaube, der Versuch, eine Explosion mit einem nachfolgenden Wohnungsbrand auszulösen, zeigt uns, dass der Täter nicht unbedingt in den Besitz des Fotos kommen will, es würde ihm schon reichen, es zu zerstören.«
»Aber warum hing es bei Penelope Fernandez an der Wohnzimmertür, wenn es so verdammt wichtig war?«
»Dafür könnte ich mir einige Gründe vorstellen«, antwortet Joona. »Am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass Björn und Penelope ein Foto geschossen haben, das irgendetwas beweist, sie selber es aber nicht verstehen.«
»So muss es sein«, sagt Erixon eifrig.
»Für sie ist die Aufnahme nichts, was man lieber verstecken sollte, ganz harmlos und nichts, wofür man jemanden ermorden würde.«
»Aber plötzlich überlegt Björn es sich anders.«
»Vielleicht hat er etwas herausgefunden, begreift womöglich, dass es gefährlich ist, und nimmt es deshalb an sich«, überlegt Joona. »Es gibt vieles, was wir nicht wissen, und der einzige Weg, Antworten zu finden, führt wohl über gute alte, ehrenwerte Polizeiarbeit.«
»Exakt.« Erixon schreit fast.
»Kannst du alle Telefonate der letzten Woche besorgen, SMS, Kontoauszüge und so weiter? Quittungen, Busfahrkarten, Besprechungen, Aktivitäten, Arbeitszeiten …«
»Ja, verdammt.«
»Ach nein, Unsinn, vergiss es.«
»Ich soll es vergessen? Wieso vergessen?«
»Die Krankengymnastik«, sagt Joona lächelnd. »Es wird Zeit für deine Krankengymnastik.«
»Soll das ein Witz sein, du verdammter Spaßvogel?«, fragt Erixon mit unterdrückter Empörung. »Krankengymnasten? Wozu gibt es die überhaupt? Als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme?«
»Aber du musst dich doch ausruhen. Es gibt sicher einen anderen Kriminaltechniker, der …«
»Wenn ich hier noch länger Däumchen drehen muss, flippe ich aus.«
»Du bist doch erst seit sechs Stunden krankgeschrieben.«
»Ich gehe die Wände hoch«, klagt Erixon.
Spende Boerse
33
Joona fährt nach Osten, Richtung Gustavsberg. Am Straßenrand sitzt ganz still ein weißer Hund und betrachtet das Auto in aller Ruhe. Joona denkt, dass er unbedingt Disa anrufen muss, wählt stattdessen jedoch Anjas Nummer.
»Ich brauche die Adresse von Claudia Fernandez.«
»Mariagatan 5«, sagt sie wie aus der Pistole geschossen. »Nicht weit von der alten Porzellanfabrik.«
»Danke«, antwortet Joona.
Anja bleibt am Apparat.
»Ich warte«, sagt sie ruhig.
»Worauf wartest du?«
»Darauf, dass du sagst, wir fahren mit der Silja Line Galaxy nach Turku und mieten uns ein kleines Häuschen mit einer holzbefeuerten Sauna am Wasser.«
»Das klingt nicht schlecht.«
Das Wetter ist sommerlich grau verhangen, diesig und sehr schwül. Joona parkt seinen Wagen vor dem Haus von Claudia Fernandez, steigt aus, riecht den bitteren Duft von Buchsbaum und Johannisbeersträuchern, ist betört von einer Erinnerung und bleibt einen Moment lang stehen. Das Gesicht, das aufgetaucht ist, löst sich sachte wieder auf, als er an der Tür klingelt, auf der ein Namensschild aus dem Werkunterricht sitzt, in das mit kindlicher Schrift der Name »Fernandez« eingebrannt ist.
Im Haus klingelt es melodisch. Er wartet. Kurz darauf hört er langsame Schritte.
Claudia Fernandez öffnet ihm mit bedrücktem Gesicht. Als sie Joona sieht, weicht sie rückwärts in den Flur zurück. Ein Mantel löst sich vom Bügel und fällt herab.
»Nein«, flüstert sie. »Nicht Penny …«
»Es ist nichts Schlimmes passiert, Frau Fernandez«, beeilt Jona sich zu sagen.
Sie kann sich nicht mehr auf den Beinen halten, sinkt zwischen Schuhen und unter hängenden Jacken zu Boden und atmet wie ein verängstigtes Tier.