Читаем Paganinis Fluch полностью

Åhlén stellt sich unhörbar vor, als er der Frau ganz kurz die Hand gibt und ihr unmittelbar darauf den Rücken zukehrt und vorgibt, etwas in einem Ordner zu suchen. Er wirkt ausgesprochen abweisend, aber Joona weiß, dass er in Wahrheit nur extrem verlegen ist.

»Ich habe versucht, meine Mädchen anzurufen, aber ich erreiche sie nicht«, flüstert Claudia Fernandez. »Sie müssten …«

»Wollen wir gehen?«, sagt Åhlén, als hätte er ihre Worte nicht gehört.

Schweigend bewegen sie sich durch den vertrauten Flur. Joona kommt es vor, als würde die Luft mit jedem Schritt dünner. Claudia Fernandez hat es nicht eilig, dem entscheidenden Augenblick näher zu kommen. Sie geht langsam, bleibt mehrere Meter hinter Åhlén zurück, dessen große, scharf geschnittene Gestalt ihnen vorauseilt. Joona Linna dreht sich um und versucht, Claudia zuzulächeln, muss sich jedoch gegen den Blick in ihren Augen wehren. Die Panik, das Flehen, die Gebete, die Versuche, mit Gott zu verhandeln. Es kommt ihm vor, als müssten sie die Frau in den kühlen Raum zwingen, in dem die Leichen verwahrt werden.

Åhlén murmelt etwas in einem wütenden Tonfall, bückt sich, öffnet das Schloss zu der Luke aus rostfreiem Stahl und zieht die Lade heraus. Die junge Frau wird sichtbar, ihr Körper ist von einem weißen Tuch bedeckt. Ihre Augen sind matt, halb geschlossen, die Wangen eingefallen. Ihre Haare liegen in einem schwarzen Kranz um ihren schönen Kopf. An ihrer Hüfte ist eine kleine blasse Hand zu sehen.

Claudia Fernandez atmet schnell. Sie berührt zärtlich die Hand, jammert. Der Laut kommt von tief innen, als ginge ihre Seele in diesem Moment entzwei. Sie beginnt, am ganzen Körper zu zittern, fällt auf die Knie und hält sich die leblose Hand der Tochter an den Mund.

»Nein, nein«, weint sie. »Oh Gott, guter Gott, nicht Viola. Nicht Viola …«

Joona steht einige Schritte hinter Claudia, sieht ihren Rücken, der unter den Schluchzern bebt, hört die Stimme, das verzweifelte Weinen, das sich steigert und dann langsam verebbt.

Claudia Fernandez streicht sich die Tränen aus dem Gesicht, atmet aber immer noch zitternd, als sie vom Boden aufsteht.

»Können Sie uns bestätigen, dass dies Ihre Tochter ist?«, fragt Åhlén kurz angebunden. »Ist das Viola Fernandez, die hier …«

Seine Stimme erstickt, und er räuspert sich schnell und wütend.

Claudia Fernandez schüttelt den Kopf und bewegt vorsichtig die Fingerspitzen über die Wange ihrer Tochter.

»Viola,Violita …«

Zitternd zieht sie die Hand zurück, und Joona sagt langsam:

»Es tut mir wirklich sehr, sehr leid.«

Claudia Fernandez bricht fast zusammen, stützt sich jedoch an der Wand ab, wendet das Gesicht ab und flüstert:

»Am Samstag gehen wir in den Zirkus, ich werde Viola überraschen …«

Gemeinsam betrachten sie die tote Frau, die bleichen Lippen, die Adern am Hals.

»Ich habe Ihren Namen vergessen«, sagt Claudia Fernandez verloren und sieht Joona an.

»Joona Linna«, sagt er.

»Joona Linna«, wiederholt die Frau mit belegter Stimme. »Ich werde Ihnen von Viola erzählen. Sie ist mein kleines Mädchen, mein Nesthäkchen, meine fröhliche kleine …«

Sie wirft einen Blick auf Violas bleiches Gesicht und wankt zur Seite. Åhlén zieht einen Stuhl heran, aber sie schüttelt nur kurz den Kopf.

»Entschuldigen Sie«, sagt sie. »Es ist nur, dass … Meine ältere Tochter, Penelope, musste in El Salvador schreckliche Dinge durchmachen. Wenn ich daran denke, was sie mir dort im Gefängnis angetan haben, wenn ich mich daran erinnere, wie sehr sich Penelope fürchtete, wie sie weinte und nach mir rief … stundenlang, aber ich konnte ihr nicht antworten, sie nicht schützen …«

Claudia Fernandez begegnet Joonas Blick und macht einen Schritt auf ihn zu, und er legt sanft den Arm um sie. Sie lehnt sich schwer an seine Brust, ringt nach Luft. Dann tastet sie nach der Rückenlehne des Stuhls und setzt sich.

»Ich bin immer … stolz darauf gewesen, dass die kleine Viola in Schweden geboren wurde. Sie hatte ein schönes Zimmer mit einer rosa Lampe an der Decke, Spielzeug und Puppen, sie ging in die Schule, guckte Pippi Langstrumpf … Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können, aber ich bin stolz gewesen, dass sie niemals hungern oder Angst haben musste. Nicht wie wir … wie Penelope und ich, wir wachen nachts auf, sind darauf gefasst, dass jemand hereinkommt und schreckliche Dinge tut.«

Sie verstummt und flüstert nach einer Pause:

»Viola ist immer nur fröhlich gewesen und …«

Claudia verbirgt ihr Gesicht in beiden Händen und weint still. Joona legt seine Hand auf ihren Rücken.

»Ich gehe jetzt«, sagt sie immer noch weinend.

»Es besteht keine Eile.«

»Haben Sie mit Penelope gesprochen?«, fragt sie nach einer Weile.

»Wir haben sie noch nicht erreicht«, antwortet Joona leise.

»Sagen Sie ihr, dass sie mich anrufen soll …« Claudia erblasst. »Ich denke, dass sie nicht ans Telefon geht, wenn ich anrufe, weil ich … ich war … ich habe etwas Furchtbares zu ihr gesagt, aber ich habe es nicht so gemeint, ich habe doch nicht gemeint …«

»Wir suchen mit Hubschraubern nach Penelope und Björn Almskog, aber …«

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