»Wir hoffen, Penelope Fernandez bald vernehmen zu können, aber wir sind uns ziemlich sicher, dass Björn Almskog sie hintergangen hat«, fährt Joona fort. »Vielleicht weiß er mehr über das Foto als Penelope, vielleicht hat er es einfach probiert, jedenfalls benutzt Björn am zweiten Juni in einem Internetcafé eine anonyme Mailadresse und schreibt einen Erpresserbrief an Carl Palmcrona. Die Mail ist der Auftakt zu einer kurzen Korrespondenz: Björn schreibt, dass er weiß, wie peinlich das Foto für Palmcrona sein muss, und dass er bereit ist, es ihm für eine Million Kronen zu verkaufen.
»Eine ganz gewöhnliche Erpressung«, murmelt Pollock.
»Björn benutzt im Zusammenhang mit dem Bild das Wort peinlich«, fährt Saga fort, »weshalb wir bezweifeln, dass er begreift, wie ernst Palmcrona das Ganze nehmen wird.«
»Björn glaubt, die Situation unter Kontrolle zu haben«, sagt Joona. »Dann staunt er nicht schlecht, als er Palmcronas Antwort liest, in der dieser seinen Erpresser warnt. Palmcrona erläutert mit großem Ernst, dass Björn keine Ahnung hat, worauf er sich da eingelassen hat, und fleht ihn schließlich an, ihm das Foto zu schicken, ehe es zu spät ist.«
Joona trinkt einen Schluck Wasser.
»Wie ist der Ton in der Mail?«, fragt Nathan Pollock nach. »Du hast gesagt, dass er ernst ist, aber ist er auch aggressiv?«
Joona schüttelt den Kopf und verteilt über den Tisch hinweg Kopien des Mailwechsels.
»In meinen Augen sind diese Mails nicht aggressiv, nur ernst.«
Tommy Kofoed liest die Mails, nickt, reibt seine pockennarbigen Wangen und notiert sich etwas.
»Was passiert dann?«
»Ehe die Haushälterin am Mittwoch nach Hause fährt, hilft sie Palmcrona, eine Schlinge an der Decke zu befestigen.«
Petter lacht.
»Warum das?«
»Weil er es nach einer Rückenoperation nicht selber tun konnte«, antwortet Saga.
»Na schön«, sagt Carlos und verzieht ein wenig den Mund.
»Am nächsten Tag, um die Mittagszeit … nachdem die Post gekommen ist, nehmen wir an, ruft Palmcrona eine Nummer in Bordeaux an und …«
»Weiter ließ sich die Nummer nicht verfolgen«, wirft Saga ein.
»Die Nummer führt möglicherweise zu einer Telefonzentrale, und das Gespräch wird in ein ganz anderes Land, einen anderen Erdteil oder wieder zurück nach Schweden weiterverbunden«, sagt Joona. »Jedenfalls handelt es sich um ein sehr kurzes Telefonat, es dauert nur dreiundvierzig Sekunden. Vielleicht hinterlässt er auch nur eine Sprachnachricht. Wahrscheinlich berichtet er von dem Foto und dem Inhalt des Erpresserschreibens und erklärt, dass er Hilfe erwartet.«
»Denn danach … ein paar Minuten später, ruft Palmcronas Haushälterin die Taxizentrale an und bestellt einen Wagen für zwei Uhr auf den Namen Palmcrona mit dem Fahrziel Flughafen. Exakt eine Stunde und fünfzehn Minuten nach dem kurzen Gespräch klingelt das Telefon. Palmcrona hat bereits Mantel und Schuhe an, geht aber dennoch an den Apparat. Das Gespräch kommt aus Bordeaux. Es ist die Nummer, die er selbst gewählt hatte. Dieses Gespräch dauert zwei Minuten. Palmcrona schickt daraufhin eine letzte Mail an seinen Erpresser. Darin heißt es: Jetzt ist es zu spät, du und ich, wir werden beide sterben. Er gibt der Haushälterin frei, die den wartenden Taxifahrer dafür bezahlt, dass er gekommen ist. Anschließend fährt sie nach Hause. Ohne seinen Mantel auszuziehen, geht Carl Palmcrona in den kleinen Salon, stellt seinen Aktenkoffer hochkant, klettert hinauf und erhängt sich.«
Es wird still am Tisch.
»Aber das ist nicht das Ende der Geschichte«, sagt Joona, »denn Palmcronas Telefonat hat etwas in Gang gesetzt … Ein internationaler Profi ist beauftragt worden. Ein Killer ist ausgesandt worden, um alle Spuren zu verwischen und das Foto zu vernichten.«
»Wie oft taucht bei uns in Schweden ein solcher Profikiller auf ?«, sagt Carlos skeptisch. »Für eine so drastische Maßnahme muss viel Geld auf dem Spiel stehen.«
Joona sieht ihn ausdruckslos an.
»Ja.«
»Am Telefon hat Palmcrona wahrscheinlich die erpresserische Mail vorgelesen, die auch die von Björn angegebene Kontonummer enthielt«, bemerkt Saga.
»Es ist nicht besonders schwer, jemanden anhand einer Kontonummer aufzuspüren«, murmelt Verner.
»Als Palmcrona den Koffer umkippt, hält Björn Almskog sich im Internetcafé Dreambow auf«, fährt Joona fort. »Er loggt sich in sein anonymes Mailkonto ein und sieht, dass er zwei Antwortmails von Carl Palmcrona bekommen hat.«
»Er hofft natürlich, dass Palmcrona sich bereit erklärt hat, eine Million für das Foto zu zahlen«, erklärt Saga.
»Stattdessen findet er Palmcronas Warnung und als Nächstes die kurze Mail, in der steht, dass es zu spät ist, dass sie beide sterben werden.«
»Und jetzt sind sie tot«, sagt Pollock.
»Man kann nur vermuten, wie sehr Björn sich gefürchtet haben muss«, meint Saga. »Er ist ja kein routinierter Erpresser gewesen, er hat nur eine Chance ergriffen, als sie sich ihm bot.«
»Was tut er?«
Petter sieht die beiden an, sein Mund steht gähnend offen. Carlos schenkt ihm einen Schluck Wasser ein.