Es knirscht leise, als eine Frau in einem schwarzen Niqab zwei kleine Figuren aus sonnengetrocknetem Lehm zertritt. Ein Mädchen und sein kleiner Bruder werden unter ihrer Sandale zu Krümeln und Staub. Die Frau mit dem Schleier trägt eine schwere Last aus Getreide auf dem Rücken und merkt nicht einmal, was sie da tut. Zwei Jungen pfeifen, lachen und johlen, dass die Sklavenkinder tot sind, dass nur noch ein paar Säuglinge übrig sind und alle Fur sterben werden.
Penelope verdrängt die Erinnerungsbilder aus Kubbum aus ihrem Gehirn und kurz vor dem Einschlafen hat sie für einen Moment das Gefühl, dass tonnenweise Stein, Erde, Lehm, Beton auf ihr lasten. Es ist, als fiele sie senkrecht in die Eingeweide der Erde, als fiele und fiele und fiele sie.
*
Penelope Fernandez wacht auf, ist aber noch zu schwach, um ihre Augen zu öffnen, das Morphium macht ihren Körper schwer. Sie erinnert sich, dass sie in einem geschützten Raum tief unter dem Landespolizeiamt in einem Krankenhausbett liegt. Sie muss nicht mehr fliehen. Auf die erste Erleichterung folgt eine große Welle aus Schmerz und Sehnsucht. Sie weiß nicht, wie lange sie geschlafen hat, denkt, dass sie wieder wegdämmern könnte, öffnet aber trotzdem die Augen.
Sie schlägt die Augen auf, aber in dem unterirdischen Raum herrscht völlige Finsternis.
Sie blinzelt, sieht jedoch nichts. Nicht einmal der Alarmknopf neben ihrem Bett leuchtet. Es muss einen Stromausfall gegeben haben. Sie will schreien, zwingt sich jedoch, still zu bleiben, als die Tür zum Flur plötzlich klickt. Sie starrt in die Dunkelheit hinein und hört ihr Herz hämmern. Es kribbelt in ihrem Körper, jeder Muskel ist angespannt. Jemand berührt ihr Haar. Fast unmerklich. Sie bleibt ruhig liegen und spürt, dass jemand neben ihrem Bett steht und ihr ganz zärtlich über die Haare streicht. Langsam werden Finger in ihre Locken geflochten. Sie will gerade zu Gott beten, als der Mensch neben dem Bett fest ihre Haare packt und sie aus dem Bett zerrt. Sie schreit, als er sie mit großer Kraft gegen die Wand wirft, sodass der Bilderrahmen zersplittert und der Infusionsständer umkippt. Umgeben von Glasscherben, stürzt sie zu Boden. Er hält weiter ihre Haare fest, schleift sie zurück, dreht sie herum, schlägt ihr Gesicht auf das festgestellte Rad des Betts und zieht anschließend ein Messer mit einer schwarzen Klinge. Penelope wird davon wach, dass sie aus dem Bett fällt, die Tür aufgeht und eine Krankenschwester herbeieilt. Alle Lampen sind an, und Penelope wird klar, dass sie einen Albtraum hatte. Man hilft ihr wieder ins Bett, die Krankenschwester redet beruhigend auf sie ein und befestigt anschließend Gitter an beiden Seiten des Betts, um zu verhindern, dass sie noch einmal herausfällt.
Der Schweiß auf ihrem Körper erkaltet nach einer Weile. Sie ist unfähig, sich zu bewegen, ihre Arme bekommen eine Gänsehaut. Sie liegt mit dem Alarmknopf in der Hand auf dem Rücken und starrt zur Decke hinauf, als es an die Tür klopft. Eine junge Frau, in deren taillenlange Haare bunte Bändchen eingeflochten sind, tritt ein und sieht sie mit sanftem Ernst an. Hinter ihr steht ein großer Mann mit zerzausten blonden Haaren und einem freundlichen, symmetrischen Gesicht.
»Ich heiße Saga Bauer«, stellt sich die Frau vor. »Ich bin vom Staatsschutz. Das hier ist mein Kollege Joona Linna von der Landeskriminalpolizei.«
Penelope betrachtet die beiden, ohne eine Miene zu verziehen, senkt anschließend den Blick und betrachtet ihre verbundenen Arme, alle Schürfwunden und blauen Flecken und die Kanüle in der Armbeuge.
»Es tut uns sehr leid, was Ihnen in den letzten Tagen zugestoßen ist«, sagt die Frau. »Wir haben volles Verständnis dafür, dass Sie einfach nur Ihre Ruhe haben wollen, aber wir werden uns dennoch in der nächsten Zeit einige Male unterhalten müssen und die ersten Fragen müssen wir Ihnen leider schon jetzt stellen.«
Saga Bauer zieht den Stuhl von dem kleinen Schreibtisch herüber und setzt sich neben die Bettkante.
»Er ist immer noch hinter mir her, nicht wahr?«, fragt Penelope kurz darauf.
»Hier sind Sie sicher«, antwortet Saga ihr.
»Sagen Sie mir, dass er tot ist.«
»Penelope, wir müssen …
»Sie konnten ihn nicht stoppen«, sagt sie schwach.
»Wir werden ihn ergreifen, das verspreche ich Ihnen«, erwidert Saga Bauer. »Aber Sie müssen uns helfen.«
Penelope seufzt schwer und schließt die Augen.
»Wir wissen, wie schwierig das für Sie ist, aber auf einige Fragen müssen wir eine Antwort bekommen«, fährt Saga fort. »Wissen Sie, warum das alles passiert ist?«
»Fragen Sie Björn«, murmelt Penelope. »Er weiß es vielleicht.«
»Was haben Sie gesagt?«, fragt Saga.
»Ich habe gesagt, dass Sie Björn fragen sollen«, flüstert Penelope und öffnet langsam die Augen. »Fragen Sie Björn, er weiß es möglicherweise.«
Spinnen und anderes Getier müssen aus dem Wald mitgekommen sein, sie laufen über Penelopes Haut, und sie kratzt sich an der Stirn, aber Saga nimmt ruhig ihre Hände.