»Was
»Ach ja. Nun, du kannst ihn von diesem Fenster aus sehen, wenn du wirklich möchtest…«, sagte der Herrscher widerstrebend.
»Ich würde ihn gern sehen«, erwiderte Laurana kühl. Mit einem Schulterzucken führte Herrscher Amothud Laurana zu einem Fenster, das ihr bereits aufgefallen war, da es mit dicken Vorhängen verdeckt war. Die Vorhänge der anderen Fenster waren aufgezogen und enthüllten einen atemberaubenden Ausblick auf die Stadt, gleichgültig, in welche Richtung man schaute.
»Ja, das ist der Grund, warum ich die Vorhänge geschlossen halte«, antwortete der Herrscher mit einem Seufzen auf Lauranas Frage. »Eine Schande. Hier hatte man einst die wundervollste Aussicht auf die Stadt, wie aus den alten Aufzeichnungen ersichtlich ist. Aber das war, bevor der Turm verflucht wurde…«
Der Herrscher zog die Vorhänge mit zitternden Händen beiseite, sein Gesicht war von Trauer verdüstert. Laurana, überrascht von diesem Gefühlsausbruch, sah neugierig hinaus. Die Sonne versank hinter den schneebedeckten Bergen und zeichnete purpurrote Streifen in den Himmel. Die lebhaften Farben schimmerten auf den weißen Gebäuden von Palanthas, als der seltene durchsichtige Marmor, aus denen sie gebaut waren, das sterbende Licht einfing. Laurana hatte sich niemals vorstellen können, daß in der Welt der Menschen solche Schönheit existieren könnte. Es machte ihrer geliebten Heimat Qualinesti wahrhaft Konkurrenz.
Dann wurden ihre Augen von einer Dunkelheit inmitten dieser schimmernden, perlmuttfarbenen Herrlichkeit angezogen. Ein einzelnstehender Turm erhob sich in den Himmel. Aus schwarzem Marmor gebaut, hob er sich entschieden vom weißen Marmor der übrigen Stadt ab. Minarette mußten einst seine Zierde gewesen sein, heute waren sie nur noch eine Ruine. Dunkle Fenster starrten wie leere Augenhöhlen blind in die Welt. Ein Zaun umgab den Turm. Auch der Zaun war schwarz, und am Tor des Zaunes sah Laurana etwas flattern. Einen Moment lang dachte sie, es wäre ein riesiger gefangener Vogel, denn er wirkte so lebendig. Sie wollte gerade die Aufmerksamkeit des Herrschers darauf lenken, als dieser mit einem Schauder die Vorhänge zuzog.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Ich kann es nicht ertragen. Entsetzlich. Und zu denken, daß wir seit Jahrhunderten damit leben…«
»Ich finde es gar nicht so entsetzlich«, sagte Laurana aufrichtig, ihr geistiges Auge erinnerte sich an den Anblick des Turms und die umgebende Stadt. »Der Turm… scheint irgendwie richtig zu sein. Eure Stadt
Dem verwirrten Gesichtsausdruck des Herrschers war zu entnehmen, daß er
»Es war während der… oh, ich denke, es gibt jemanden, der die Geschichte besser als ich erzählen kann«, sagte Herrscher Amothud und sah erleichtert auf, als sich die Tür öffnete. »Es ist keine Geschichte, die ich gern erzähle, um die Wahrheit zu sagen.«
»Astinus von der Bibliothek von Palanthas«, verkündete der Herold.
Zu Lauranas Verwunderung erhoben sich alle ehrfürchtig selbst die hohen Generäle und Edelleute. All das, dachte sie, für einen Bibliothekar. Zu ihrer noch größeren Verwunderung verbeugten sich der Herrscher von Palanthas und all seine Generäle und alle Edelleute, als der Chronist eintrat. Auch Laurana verbeugte sich in verwirrter Höflichkeit. Als ein Mitglied der königlichen Familie Qualinestis wurde von ihr nicht erwartet, sich vor irgend jemand auf Krynn zu verbeugen, es sei denn, es handelte sich um ihren Vater, die Stimme der Sonnen. Aber als sie sich aufrichtete und den Mann musterte, empfand sie plötzlich die Verbeugung als angemessen und passend. Astinus trat mit solch einer Seelenruhe und Sicherheit ein, daß sie überzeugt war, er könnte sich unverfroren mit allen Herrschern auf Krynn und dem Himmel messen. Er schien in mittlerem Alter zu sein, aber um ihn war etwas Zeitloses. Sein Gesicht schien aus dem Marmor von Palanthas gemeißelt zu sein, und zuerst war Laurana von der Kälte und Leidenschaftslosigkeit dieses Gesichts angewidert. Dann sah sie, daß die dunklen Augen des Mannes sprichwörtlich vor Leben strahlten – als ob es vom Feuer tausender Seelen strahlen würde.