Erschrocken sah sie auf und blickte ins Gesicht des Händlers, der aus seinem Laden getreten war und aus guten zweieinhalb Metern Höhe auf sie herabblickte. Im ersten Moment hielt sie ihn für einen Menschen, aber dann sah sie die spitzen, einwärts gebogenen Fangzähne, die sich über seine Unterlippe zogen, und die mit dünnen Härchen bewachsenen Pinselohren.
»Du interessierst dich für Waffen, Kind?« Seine Stimme war sehr leise für einen Mann seiner Größe, aber sie hatte einen so angenehmen, weichen Klang, daß Tally sofort einen Teil ihres instinktiven Mißtrauens verlor. Sie nickte, erinnerte sich daran, was Weller über die Frauen in Schelfheim gesagt hatte, und schüttelte hastig den Kopf.
Der Blick der geschlitzten Katzenaugen verharrte einen Moment auf ihrem Gesicht und streifte dann den silbernen Zierdolch, den sie in der Hand hielt. Beinahe schuldbewußt legte Tally die Waffe zurück und wollte gehen, aber der Riese hielt sie mit einer raschen Bewegung zurück.
»Warte doch«, sagte er. »Du hast recht – das da ist Tand. Ich habe etwas Besseres für dich. Für wen soll die Waffe sein? Für deinen Mann?«
»Meinen... Bruder«, sagte Tally hastig. »Ich will ihn überraschen. Aber er kennt sich mit Waffen aus. Ich nicht«, fügte sie mit einem entschuldigenden Lächeln hinzu.
»Dann habe ich genau das Richtig für dich«, sagte der Händler. »Warte hier. Ich bin gleich zurück.«
Er drehte sich herum und verschwand mit gewaltigen Schritten im Inneren seines Ladens, wo Tally ihn lautstark rumoren hörte. Es wäre ihr ein Leichtes gewesen, jetzt einfach zu gehen – aber damit hätte sie eher noch mehr Aufsehen erregt; und die Worte des Riesen hatten ihre Neugier geweckt. Sie wollte einfach wissen, ob er ein ehrlicher Mann war oder ein Gauner, der die Unwissenheit einer Frau nutzen wollte, um ein gutes Geschäft zu machen.
Nach einer Weile kam der Katzer wieder, ein armlanges, in weiße Tücher eingeschlagenes Bündel auf beiden Armen tragend. Mit einem fast verschwörerischen Lächeln legte er es vor ihr ab und machte eine einladende Geste, es zu öffnen.
Tally gehorchte. Unter dem weißen Leinen kam ein prachtvolles, beidseitig geschliffenes Schwert zum Vorschein.
Es war eine prachtvolle Arbeit – die Klinge war so lang wie ihr Arm und mit filigranen Verzierungen versehen, wohingegen ihr Griff beinahe einfach wirkte, aber eine sehr sonderbare Form hatte. Bewundernd nahm sie die Klinge auf, wog sie einen Moment prüfend in der Hand und stellte fest, daß sie ihr Gewicht kaum fühlte. Sie war perfekt ausgewogen. Wenn die Güte ihres Stahles hielt, was sein Aussehen versprach, mußte es eine phantastische Klinge sein; zehnmal besser als das Schwert, das sie Weller in Aufbewahrung gegeben hatte.
»Gefällt es dir?« fragte der Katzer.
Tally nickte heftig. »Es ist wunderschön«, sagte sie.
»Was kostet es?«
»Zehn Goldheller«, antwortete der Katzer, »und das ist geschenkt.«
Einen Moment lang war Tally ernsthaft in Versuchung, das Schwert zu kaufen. Sie hatte mehr als die Summe, die der Händler forderte, und die Klinge war diesen lächerlichen Betrag allemal wert. Aber dann dachte sie daran, was Weller sagen würde, wenn sie ihn mit einem neu gekauften Schwert im Gürtel begrüßte, und legte die Klinge mit einem bedauernden Kopfschütteln wieder zurück. Sie erweckte schon viel zu viel Aufsehen allein damit, überhaupt hier zu stehen.
»Es tut mir leid«, sagte sie. »Aber das ist mir zu teuer.«
»Sie ist es aber wert, Mädchen«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Tally fuhr zusammen, sah auf und erkannte den Schrecken im Gesicht des Katzers, ehe sie sich zu der Sprecherin herumdrehte. Wie durch Zufall ließ sie das Schwert während der Bewegung nicht los.
Hinter ihr standen zwei dunkelhaarige, in Mäntel aus erdbraunem Leder gekleidete Frauen, die eine, die gesprochen hatte, alt genug, ihre Mutter sein zu können, die andere ein junges Ding, das sie mit einer Mischung aus Hochmut und Ungeduld ansah.
»Du kannst mir glauben«, fuhr die Frau mit einem gutmütigen Lächeln fort. »Eine Waffe wie diese sieht man nicht alle Tage. Sie ist mindestens das zehnfache dessen wert, was dieser Halsabschneider dafür verlangt.«
Sie lächelte, nahm Tally das Schwert aus der Hand und machte einen spielerischen Ausfall gegen den Katzer, den dieser mit einem erschrockenen Fauchen und einem hastigen Satz nach hinten beantwortete. Tally sah, wie geschmeidig und schnell ihre Bewegungen waren. Es war nicht das erste Mal, daß sie ein Schwert in der Hand hatte. Aus reiner Gewohnheit überlegte sie, ob sie die dunkelhaarige Frau besiegen könnte; aber sie kam zu keinem eindeutigen Ergebnis.
»Wahrscheinlich hat er sie irgendwo gestohlen und weiß selbst nicht, was er da hat«, fuhr die Frau fort. »Ein Schwert aus Lakamar bringt auf dem Markt allemal seine fünfundzwanzig Goldheller. Zehn ist geschenkt. Wenn du es nicht kaufst, dann nehme ich es.« Sie lachte, legte das Schwert fast behutsam wieder zurück und sah Tally aufmerksam an. »Wie ist dein Name, Kind?« fragte sie.