Er brach mitten im Wort ab, starrte Tally einen Herzschlag lang aus großen Augen an und begann plötzlich zu grinsen wie ein Schuljunge, dem ein besonders boshafter Scherz gelungen war. »Beim Schlund, dieser Hohlkopf hat mich auf eine Idee gebracht«, fuhr er dann fort.
»Mit etwas Glück sind wir schneller bei Karan, als ich bisher gedacht habe.«
»Was hast du vor?« fragte Tally mißtrauisch.
Aber Weller schien ihre Frage gar nicht gehört zu haben. Plötzlich sah er sich hektisch nach allen Seiten um, gestikulierte ihr gleichzeitig, still zu sein, und deutete schließlich nach links. »Dort entlang«, sagte er aufgeregt. »Wenn ich mich richtig entsinne, heißt das. Es ist lange her, daß ich hier war...«
»Was, beim Schlund, hast du vor?« fragte Tally ärgerlich. Sie hatte das ungute Gefühl, daß ihr das, was Weller mit seinen geheimnisvollen Andeutungen meinte, nicht gefallen würde.
Weller antwortete auch diesmal nicht, aber sein Grinsen wurde noch breiter. »Laß dich überraschen, Tally«, sagte er feixend. »In ein paar Minuten sind wir alle Sorgen los – mit etwas Glück.«
»Und mit etwas weniger Glück?« fragte Tally mißtrauisch.
»Sind wir tot«, erwiderte Weller. »Aber keine Sorge – ich habe das Glück gepachtet. Und jetzt schweig. Die Frauen in Schelfheim streiten sich nicht auf der Straße mit Männern. Komm.« Er wies mit einer Kopfbewegung nach links, wo eine etwas schmalere, aber ebenfalls sauber gepflasterte Straße im rechten Winkel abzweigte, und ging los, ehe sie Gelegenheit fand, abermals zu widersprechen.
Sie waren nicht mehr allein auf den Straßen, jetzt, nachdem sie die Sperre hinter sich hatten. Immer mehr Menschen kamen ihnen entgegen, manche in heller Aufregung, die meisten aber so ruhig und gelassen, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen. Hier und da standen Männer in kleinen Gruppen auf der Straße, um erregt miteinander zu diskutieren, und Tally sah auch Männer und Frauen, die auf die Hausdächer gestiegen waren, um das schreckliche Schauspiel von dort aus zu beobachten. Der Großteil der Schelfheimer jedoch schien von dem Brand und der Schlacht, die kaum ein Dutzend Straßenzüge weiter tobte, keinerlei Notiz zu nehmen. Trotzdem waren sie bald so sehr von Menschen umgeben, daß Tally es nicht wagte, Weller noch einmal zu fragen, was er vorhatte. So schluckte sie ihren Ärger herunter, senkte ein wenig den Blick und folgte ihm in zwei Schritten Abstand, wie er es ihr gesagt hatte. Ihre Umgebung begann sich zu verändern, je weiter sie in die Stadt eindrangen. Hatten zuerst noch die wuchtigen, festungsähnlichen Quaderbaue vorgeherrscht, wie Tally sie am Stadtrand gesehen hatte, so wurden die Häuser nun rasch normaler – schon nach weniger als einer Viertelstunde hatte sie zum ersten Male das Gefühl, wirklich in einer Stadt zu sein, und nicht in einer zu groß geratenen Festung. Sie sahen noch immer sehr viele Uniformen, und mehr als einmal tauchte der häßliche Schädel eines Hornkopfes über der Menschenmenge auf, aber niemals kam ihnen einer der Krieger auch nur nahe.
Sie überquerten einen großen, sauber gepflasterten Platz, der von einer Unzahl kleiner, zur Straße hin offenen Läden gesäumt wurde. Trotz der noch frühen Stunde herrschte bereits ein reges Treiben; vor mehreren Läden prisen Händler marktschreierisch ihre Waren an, auf einem eigens dafür abgezäunten Teil des Platzes spielten Kinder, und vor einem Haus auf der gegenüberliegenden Seite hatte sich eine regelrechte Menschentraube gebildet, die ein halbes Dutzend gelb uniformierter Stadtgardisten vergebens in irgendeine Ordnung zu bringen versuchte. Tally registrierte besorgt, daß Weller geradewegs auf dieses Gebäude zuhielt.
»Was hast du vor?« fragte sie noch einmal – und diesmal so laut, daß Weller die Worte deutlich hörte, obwohl er noch immer zwei Schritte vor ihr ging. Es war ihr jetzt auch gleich, daß er vielleicht nicht der einzige war, der sie hörte.
Ihre Taktik hatte Erfolg – Weller blieb tatsächlich stehen, blickte sie zornig an und schüttelte rasch und warnend den Kopf. »Nicht so laut!« sagte er erschrocken.
»Willst du, daß die ganze Stadt zuhört?« Er seufzte, wartete, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatte, und wies mit einer Kopfbewegung auf das Gebäude vor ihnen.
»Dieser Narr hat mich auf die einzig wirklich gute Idee gebracht«, sagte er. »Das da ist die Bezirkskommandatur.«
Es dauerte einen Moment, bis Tally begriff. »Du willst ... «
»Uns Passierscheine besorgen, ganz recht«, unterbrach sie Weller feixend. »Was sonst? Unser Haus ist niedergebrannt, zusammen mit all unserer Habe und unseren Pässen. Wenn man uns ohne gültige Ausweise anhält, gibt es Ärger.«
»Du bist verrückt« keuchte Tally.