Ein Blick über die Schulter zurück ließ Tallys letzte Hemmungen verschwinden, Weller in die unbekannte Tiefe zu folgen. Auf der Straße tobte eine Schlacht. Mindestens zwei der Steinhäuser standen in Flammen, und das Klirren der Schwerter war jetzt fast lauter als das Brüllen der Klorschas. Über den Köpfen der Zerlumpten tanzten gewaltige, hornige Schädel. Die Stadtgarde hatte offensichtlich Verstärkung bekommen. Tally wandte sich hastig um, folgte Weller und fand sich unversehens in einem winzigen, kaum zwei Meter im Quadrat messenden Raum wieder, dessen Decke so niedrig war, daß sie nur gebückt stehen konnte. Sie hatte einen Stollen oder einen geheimen Keller erwartet, aber es gab nur diesen Verschlag – einen flachgedrückten Würfel, gerade groß genug für einen, allerhöchstens zwei Menschen; offensichtlich eine Art Fluchtkeller, der genau zu dem Zweck angelegt worden war, zu dem sie ihn benutzten; sich im Augenblick der höchsten Gefahr zu verkriechen und einfach zu hoffen, daß man nicht entdeckt wurde.
Und er war ganz entschieden
»Verdammtes Froschgesicht!« brüllte Weller. »Wer hat gesagt, daß du herunterkommen sollst? Hier ist nur Platz für zwei! «
»Dhann geh dhoch rausss«, antwortete Hrhon ungerührt.
»Oh ihr Götter, was habe ich getan, mit euch Verrückten geschlagen zu sein!« beschwerte sich Weller. »Wir werden hier unten ersticken, wenn uns diese zu groß geratene Schildkröte nicht vorher erdrückt! Sag ihm, daß er rausgehen soll, Tally!«
»Halt endlich den Mund, Weller«, sagte Tally scharf. Sie versuchte vergeblich, in eine halbwegs bequeme Lage zu rutschen – alles, was sie erreichte war, sich den Fuß unter Hrhons Panzer einzuklemmen und den Handrücken blutig zu schürfen. »Verrate uns lieber, wie lange wir in diesem Grab sitzen sollen.«
»Woher beim Schlund soll ich das wissen«, fauchte Weller. Er bewegte sich, wodurch sein Knie noch ein wenig tiefer in Tallys Magengrube hineingetrieben wurde, als es ohnehin schon war. Sie unterdrückte im letzten Moment ein Stöhnen. »Manchmal dauert es Stunden, bis sie sie zurücktreiben. Manchmal auch Tage.«
»Verdammt, wir müssen hier raus!« sagte sie. In ihrer Stimme war ein Unterton von Panik, der sie selbst erschreckte. Sie hatte niemals an Klaustrophobie gelitten – aber sie war auch noch nie in einem zwei mal anderthalb Schritte messenden Würfel mit einem Mann und einem vierhundert Pfund schweren Waga eingepfercht gewesen. »Weller – gibt es keinen anderen Weg hier heraus?«
»Nein«, antwortete Weller. »Das heißt...« Er stockte. Tally spürte, wie er versuchte, sich herumzudrehen. Eine rauhe, nach Schweiß riechende Hand tastete über ihre Brust, grabschte nach ihrem Gesicht und fuhr scharrend über die Wand, an der ihr Kopf lehnte. Weller atmete hörbar ein.
»Wir haben Glück«, sagte er. »Vielleicht. Die Wand hier besteht nur aus Lehmziegeln. Dahinter muß ein Keller liegen. Wenn dein plattgesichtiger Freund sie einrammen kann, kommen wir vielleicht raus.«
»Khein Phroblem«, sagte Hrhon. Eine gewaltige Pranke glitt über Tallys Schulter und tastete prüfend über die Steine. »Isss khann nisst risstihg ausssholen, aber esss musss ghehen. Nimm den Khopf nach rhechts, Tally.«
»Rechts für mich oder für dich?« fragte Tally hastig. Hrhon schwieg einen Moment, dann berührte seine Hand Tallys Gesicht ein zweites Mal und drückte ihren Kopf nach links, so weit, daß sie glaubte, ihr Genick würde brechen. Ihr Herz begann wie wild zu hämmern. Sie vertraute Hrhon blind, aber der Verschlag war verflucht eng, und wenn er nicht ganz genau zielte...
»Vorsssicht! «
Tally fand kaum noch Zeit, erschrocken den Atem anzuhalten, ehe Hrhons Faust mit ungeheurer Wucht gegen die Mauer prallte.
Die gesamte Wand erzitterte. Tally spürte die Wucht des Hiebes, als hätte er sie selbst getroffen. Ein dumpfes, fast wie das Stöhnen eines Tieres klingendes Knirschen drang aus der Lehmziegelwand, und dann war plötzlich nichts mehr da, wogegen sich Tally stützen konnte.