Unter den Hufen ihres Pferdes wirbelten kleine Sandund Staubwolken auf, als sie den sanft ansteigenden Hang emporritt. Sie wußte längst nicht mehr, wie viele solcher gleichförmiger Sanddünen sie schon überwunden hatte, seit sie vor zwei Tagen in die Wüste Gehran eingedrungen war. Hunderte sicher, vielleicht Tausende. Sie hatte sie nicht gezählt. Als sie diesen Weg das erste Mal geritten war, vor zehn Jahren
Sie war in Schweiß gebadet, als sie den Hügelkamm erreichte und das Pferd mit einem harten Ruck am Zügel zum Stehen brachte. Auch sie war mit ihren Kräften am Ende. Sie hätte es sich im Beisein ihrer beiden Leibwächter niemals anmerken lassen, aber es gab im Moment kaum etwas, was sie sich sehnlicher gewünscht hätte als einen Schluck eiskaltes Wasser und einen kühlen, schattigen Ort, an dem sie sich zum Schlafen niederlegen konnte. Tally rieb sich mit Daumen und Zeigefinger der Rechten über die Augen, blinzelte ein paarmal, um die Tränen fortzuzwinkern, und starrte konzentriert nach Norden. Die Wüste schien vor ihren Augen zu verschwimmen, und die hitzegeschwängerte Luft und das gleichförmige Auf und Ab der Dünen gaukelte ihr die Illusion von Bewegung und Leben vor, wo nichts außer glühendem Sand und Öde waren.
Aber sie wußte genau, wonach sie zu suchen hatte, und nach einer Weile glaubte sie in nördlicher Richtung wirklich einen dünnen, verschwommenen Schatten wahrzunehmen. Erneut fuhr sie sich mit der Hand über die Augen, aber das Bild wurde nicht klarer. Hitze und Erschöpfung begannen ihren Preis zu fordern. Trotzdem war sie sich sicher, sich nicht getäuscht zu haben. Sie war diesen Weg zu oft geritten, um ihn noch zu verfehlen. Heute abend, spätestens beim nächsten Sonnenaufgang, würde sie da sein.
Erneut stahl sich ein dünnes Lächeln in Tallys Mundwinkel. Selbst auf sie wirkten die Waga manchmal wie tolpatschige Gnome aus einem Kindermärchen. Nur, wer eine dieser Bestien einmal im Kampf erlebt hatte, wußte,
Tally wartete geduldig, bis Hrhon wieder im Sattel und fest verschnürt war und die beiden Horntiere den Hügel hinaufgewalzt waren, – es gab keine andere Art, ihre Fortbewegungsweise auch nur annähernd zu beschreiben – dann lenkte sie ihr Pferd mit einer raschen Bewegung zurück in den Schatten der beiden Ungeheuer und sah zu Hrhon hinauf.
»Reizend, daß du schon fertig bist«, sagte sie. »Wenn es dem Herrn genehm ist, können wir jetzt vielleicht weiterreiten.«
Hrhon schien in seinem Sattel zusammenzuschrumpfen und wich ihrem Blick aus. Seine Hand schloß sich unwillkürlich um den Dolch, den er so mühsam aus dem Sand ausgegraben und wieder in seinen Gürtel geschoben hatte. Es wäre für Tally ein Leichtes gewesen, selbst von ihrem Pferd zu steigen und Hrhons Waffe zu holen – und schneller wäre es auch noch gegangen. Aber der Gedanke war ihr nicht einmal gekommen. Nicht bei Wagas.
Sie wußte, daß sie sich blindlings auf die beiden Reptilienwesen verlassen konnte. Ihre beiden Leibwächter würden ohne Zögern für sie in den Tod gehen, wenn sie es verlangte. Aber Wagas waren ein eigenartiges Völkchen. Wo bei jedem anderen eine gesunde Kombination aus Strenge und Großmut angebracht war, da half bei ihnen nur unnachgiebige Härte.
Besser, man schlug einen Waga zehnmal zu oft als einmal zu wenig.