Tally seufzte. »Ich frage mich, wie du es geschafft hast, dir halb Schelfheim unter den Nagel zu reißen, wenn du so leicht aufgibst.«
»Leicht?« Angella ächzte. »Du machst Witze, wie? Wir...«
»Ssstill!« zischte Hrhon.
Angella verstummte auf der Stelle und sah den Waga erschrocken an. »Was ist?«
»Jemand issst in der Nhähe«, flüsterte Hrhon. »Drachen!«
»Drachen?« Angella zog nun doch ihre Waffe und sah sich wild um. »Wo? Ich höre nichts.«
»Hrhon kann sie spüren«, widersprach Tally. Auch sie zog ihren Laser und schaltet ihn ein, achtete aber sorgsam darauf, das rote Licht in seinem Griff mit der Hand abzudecken. Sie wußte, wie weit auch ein kleines Licht in der Dunkelheit zu sehen war.
»Aber das ist völlig ausgeschlossen!« widersprach Angella. »Woher sollen sie wissen, wo wir sind?«
»Vielleisst hahben ssie auf unsss ghewartet?« schlug Hrhon vor.
Tally nickte zustimmend. »Hast du vergessen, wie leicht sie uns im Wald gefunden haben? Ich traue dieser Jandhi alles zu.«
»Sie müßte zaubern können, um unsere Spur jetzt noch aufzunehmen«, sagte Angella.
»Vielleicht auch das.« Tally machte eine hastige Bewegung, zu schweigen, deutete in die Richtung zurück, in der ihr improvisiertes Nachtlager lag, und huschte los, Hrhons breiten Rücken als lebende Deckung vor sich. Ihre Hand schloß sich so fest um den Laser, wie sie nur konnte.
Hrhon, Angella und sie waren jetzt alle drei mit den schrecklichen Drachenwaffen ausgerüstet; denn Tally hatte sich schweren Herzens entschlossen, Angella die Waffe der getöteten Insektenreiterin zu überlassen. Jetzt fragte sie sich, ob es vielleicht ein Fehler gewesen war. Nach einer Weile blieb Hrhon wieder stehen, hob die linke Hand und legte die andere auf die Lippen. Und diesmal hörte auch Tally die Geräusche – Laute, die nicht in den Gesang der Nacht paßten: das Schleifen von Metall, Schritte, schließlich sogar Stimmen, ohne daß sie die Worte verstehen konnte.
Dann sah sie das Licht.
Es war ein sehr sonderbares, ungewohnt weißes Licht – ein dünner, sehr weißer Strahl, der hinter den Felsen auftauchte und einen Moment lang wie ein leuchtender Finger über den Himmel glitt, ehe er sich wieder senkte und unsichtbar wurde. Eine Stimme bellte einen scharfen Befehl.
»Vorsichtig jetzt!« befahl Tally im Flüsterton. »Keinen Laut. Und – Angella?«
Angella antwortete nicht, aber sie war stehengeblieben und sah Tally fragend an. »Keine Dummheiten diesmal«, sagte Tally. »Ich will kein Gemetzel.«
Sie schlichen weiter. Der Weg zurück zu ihrem Lagerplatz kam Tally weiter vor als der zum See hinab, aber das mochte an ihrer Aufregung liegen; möglicherweise machte Hrhon auch einen Umweg, um sich den Drachenreiterinnen von der entgegengesetzten Seite zu nähern.
Sie sahen das Licht kein zweites Mal, aber die Stimmen und das Geräusch von Schritten leiteten sie: es waren die Schritte von mindestens zwei, wahrscheinlich aber mehr Frauen, dazwischen das hohe, mißtönende Pfeifen eines Hornkopfes.
Dann lag das natürlich gewachsene Felsenfort wieder vor ihnen, und Tally sah zum zweiten Male dieses sonderbare Licht. Sie konnte jetzt auch seine Quelle ausmachen – es war eine Lampe, die die Drachenreiterinnen mitgebracht hatten, eines von ihren technischen Zauberdingen, nicht größer als eine Sturmlaterne, wie sie Tally kannte, aber hundertmal stärker. In ihrem kalkweißen, beinahe schattenlosen Licht waren deutlich die Gestalten zweier hochgewachsener, dunkel gekleideter Frauen auszumachen, die dabei waren, den Lagerplatz gründlich zu untersuchen.
Dabei gab es nicht viel, was der Untersuchung wert gewesen wäre – Tally hatte ihren Mantel zurückgelassen, und den Gürtel mit dem Schwert, Angella ihren Umhang, sonst nichts.
»Ghreifen whir sssie an?« flüsterte Hrhon.
Tally schüttelte hastig den Kopf, dann fiel ihr ein, Hrhon die Bewegung schwerlich sehen konnte. »Nein«, flüsterte sie. »Nicht, bevor wir wissen, wie viele es wirklich sind.«
»Zwei«, sagte Angella. »Sieh nach rechts – es sind zwei Hornköpfe.«
Tally blickte konzentriert in die angegebene Richtung. Am Rand des scharf abgegrenzten hellen Kreises, den die Lampe in die Nacht brannte, hockten zwei der gewaltigen fliegenden Hornköpfe, gesattelt und mit dünnen Ketten aneinandergebunden, damit sie ihren Besitzerinnen nicht davonfliegen und sie in der Wüste zurücklassen konnten. Und so groß die Bestien auch waren; Tally bezweifelte, daß sie mehr als einen Reiter tragen konnten. Trotzdem schüttelte sie den Kopf. Die Dunkelheit dahinter konnte hundert weitere Ungeheuer verbergen, ohne daß sie sie auch nur sahen – und es gab auch gar keinen Grund, die beiden Frauen anzugreifen. Daß sie hier waren,
»Isss weisss nisst«, zischelte Hrhon. »Isss dachte, sssie whäre bei Eusss!«