Das Zwielicht und die schärfer hervortretenden Schatten des Spätnachmittags erfassten die einsame Gestalt auf dem Flur, die im Rollstuhl am Fenster saß. Mit den Fingerspitzen berührte der Alte behutsam, fast zärtlich die gerinnenden Blutstropfen auf seinem Unterarm und verdrehte dabei die dunklen Augen. Die versiegelten Lippen zuckten.
Es dauerte ein Weilchen, bis er sein Zeichnen fortsetzte.
3
»Hallo, Schatz.«
Kristas Stimme klang leise und weit entfernt. Das laute Dröhnen eines Rennboots im Hintergrund verriet Scott, dass sie das drahtlose Telefon mit hinunter zum See genommen hatte.
»Ebenfalls hallo«, begrüßte er sie lächelnd. Ihm war klar, dass sie wohl gerade die Geburtstagsparty für ihn vorbereitete.
»Bin froh, dass ich dich erwischt hab ...« Sie drehte sich etwas vom Hörer weg und ihre Stimme klang für einen Moment schärfer und lauter: »Kathleen! Vorsicht, dort unten ist giftiger Efeu! Entschuldigung, Liebster. Ich wollte dir nur sagen, dass wir kein Bier mehr haben. Die Swains sind heute Nachmittag vorbeigekommen und haben alles weggetrunken. Und ich weiß doch ganz genau, dass deine Gedanken bei dem heißen Wetter eher um ein großes, kaltes Budweiser kreisen als um deine kleine, süße Frau.«
Da hatte sie allerdings Recht.
»Das ist lieb, Schatz. Vielen Dank. Ich bring dann noch was von unterwegs mit und bin bald zu Hause.«
»Alles klar. Bis gleich.« Sie legte auf.
Plötzlich hatte Scott solche Sehnsucht nach ihr, dass es fast schon schmerzte.
Auch er legte auf und machte sich dann mit schnellen Schritten auf den Weg zum Krankenhausparkplatz.
Die Verzögerung, die durch die Begegnung seiner Studenten mit dem Zeichner entstanden war, und sein Zwischenstopp am Getränkeladen >Brewer's Retail<, wo er den Vorrat an Budweiser aufstockte, schienen zu Scotts Vorteil gewesen zu sein. Als er schließlich wieder ins Auto stieg, hatte der Feierabendverkehr bereits nachgelassen, so dass er es in Rekordzeit bis zum Stadtrand schaffte.
Während seiner Heimfahrt musste er noch ein- oder zweimal an den alten Künstler, die obskure Zeichnung und ihren merkwürdigen Inhalt denken, an den er sich vage von irgendwoher zu erinnern glaubte. Aber es war ein herrlicher, sonniger Tag, er war bester Laune, und nach einer Weile konzentrierte er sich voll aufs Fahren.
Der Volvo Turbo war Scotts Ein und Alles und der einzige übertriebene Luxus, den er sich geleistet hatte, nachdem sie das neue Haus in den Gatineaus - der lang gestreckten, grünen Hügelkette auf der Quebec-Seite des Ottawa-Flusses -gekauft hatten. Die Schnelligkeit und Elastizität des Wagens gaben Scott das wunderbare Gefühl, immer noch jung zu sein. Und an diesem Augustnachmittag - seinem Geburtstag! - fühlte er sich ganz besonders jung, ja geradezu übermütig.
Immer wieder ging ihm eine Melodie durch den Kopf und wetteiferte mit der Musik vom Band,
Jetzt hieß es auch schon Endspurt, er lenkte das Auto geschmeidig durch die Kurven und Serpentinen der schmalen Gatineau Road. Schließlich blinkte er und bog an einem staubigen Straßenschild mit der Aufschrift >Sleepy Hollow< links ab. Um das Fahrgestell vor den Schlaglöchern der unebenen, holprigen Nebenstraße zu schützen, fuhr er im Schneckentempo. Vor einer Reihe grüner Briefkästen hielt er kurz an, fischte seine Post heraus - Rechnungen, Zeitschriften, ein paar Briefe - und fuhr gleich wieder weiter. Kurz darauf gaben Lücken in der Reihe der Birken, die das Ufer säumten, den Blick auf den See frei. Das Wasser wirkte kühl und einladend, die kleinen Wellen tanzten wie Quecksilber über die blaugrüne Oberfläche.
Die kurvige Auffahrt der Bowmans lag hinter dichten, sommerlich wuchernden Büschen verborgen, und Scott musste genau hinschauen, damit er sie nicht verpasste. Ein Brett aus Kiefernholz mit der Aufschrift »Sandy Point Hideaway< markierte den Schotterweg zum Haus. So hatte Krista ihr Zuhause nach ihrem Geburtsort, einem winzigen Dorf am Atlantik, benannt. Ihre Mutter lebte immer noch dort, in einem kleinen Landhaus direkt am Meer.
Nachdem Scott die letzte Kurve genommen hatte und in die Einfahrt eingebogen war, sah er auf sein verwinkeltes, mit Zedernholz verkleidetes Haus - und erblickte auch Kathleen, die ihm zur Begrüßung bereits entgegenstürmte. Er parkte vor der Garage, stellte den Motor ab und ließ das Seitenfenster hinunter. Sofort umfing ihn die Nachmittagshitze wie der heiße Atem eines Drachens.
»Dad!«, rief Kath.