Ganz anders verhielt es sich, wenn ihn seine dienstlichen Pflichten dazu zwangen, sich Schmerzempfindungen und heftigen Emotionen eines Patienten auszusetzen, und eine solche Situation konnte innerhalb der nächsten Minuten auftreten.
Conway drehte sich plötzlich zu Prilicla um und sagte: „Sie können Ihren leichten Schutzanzug tragen, aber halten Sie sich so lange von dem Wesen fern, bis wir Ihnen sagen, daß von ihm keine Gefahr ausgeht, sei es durch eine bewußte oder unbewußte Bewegung dieser Kreatur. Wir selbst sollten die schweren Anzüge anlegen, und zwar in erster Linie, weil sie einfach mehr Haken haben, an die wir unsere Diagnoseausrüstung hängen können.
Ich werde den Arzt der Torrance bitten, das gleiche zu tun.“
Eine halbe Stunde später schwebten Schiffsarzt Brenner, Murchison und Conway neben der Gestalt des gewaltigen Vogels, während Prilicla, der eine transparente Plastikblase trug, durch die allein sein knöcherner Unterkiefer und seine Beine hervorragten, neben der Schleuse ihres Rettungsschiffs trieb.
„Keine feststellbare emotionale Ausstrahlung, mein Freund“, berichtete der Empath.
„Das wundert mich nicht“, warf Murchison ein.
„Das Wesen könnte tot sein. Aber als wir es gefunden haben, lag die Körpertemperatur noch weit meßbar über dem durchschnittlichen Wert eines Körpers, der lebendig ist, es sei denn, sie waren zufällig von der schwarzen Substanz überzogen.
Die schwarze Substanz hielt auch chemischen Einwirkungen stand, allerdings nicht die Schalenstücke. Wenn man diese Splitter verschiedenen atmosphärischen Bedingungen aussetzte, schienen die Ergebnisse darauf hinzudeuten, daß sie nicht unter exotischen Lebensbedingungen entstanden sind — also nicht in Atmosphären, die auf Methan, Ammoniak oder gar Chlor basieren. Die chemische Zusammensetzung der Stücke weist als Hauptbestandteil Kohlenwasserstoff aus, und sie reagieren auch nicht, wenn sie kurzzeitig einem sauerstoffreichen Gemisch ausgesetzt werden.“
„Erzählen Sie mir bitte die genauen Einzelheiten der Tests, die Sie durchgeführt haben“, bat Murchison, die plötzlich sehr sachlich und ungemein höflich klang, obwohl der Lieutenant das gar nicht bemerkte.
Conway gab Prilicla ein Zeichen näherzukommen, um die hauptberufliche Pathologin und den Amateurpathologen ihr Gespräch allein weiterführen zu lassen.
„Ich glaube nicht, daß sich der Patient bewegen kann“, sagte er zu Prilicla. „Ich weiß nicht einmal, ob er lebt. Lebt er?“
Priliclas Glieder zitterten, als er sich wappnete, eine verneinende Antwort zu geben, wobei er sogar ein ganz klein wenig unangenehm wurde. „Das ist eine irreführende Frage, mein Freund“, entgegnete er. „Alles, was ich sagen kann, ist, daß er nicht ganz tot zu sein scheint.“
„Aber Sie können doch auch die emotionale Ausstrahlung eines schlafenden oder in tiefer Bewußtlosigkeit befindlichen Gehirns wahrnehmen“, erwiderte Conway ungläubig. „Strahlt der Patient denn überhaupt keine Emotionen aus?“
„Nur in sehr geringen Maßen, mein Freund“, antwortete der noch immer zitternde Cinrussker, „aber sie sind zu schwach, als daß ich sie identifizieren könnte.
Der Patient ist sich seiner selbst nicht bewußt, und die kaum wahrzunehmenden Ausstrahlungen stammen nicht aus dem Schädelraum, sondern scheinen vielmehr vom gesamten Körper auszugehen. Einen solchen Eindruck hab ich noch nie gehabt, deshalb kann ich nicht einmal Vermutungen anstellen, da mir ausreichende Informationen oder Erfahrungen fehlen.“
„Wie ich Sie kenne, werden Sie selbstverständlich trotzdem Mutmaßungen anstellen“, bemerkte Conway lächelnd.
„Natürlich“, entgegnete Prilicla. „Es wäre möglich, die emotionale Ausstrahlung, die ich von der Hautoberfläche her bis in einigem Abstand darunter wahrnehmen kann, vielleicht damit zu erklären, daß sich das Wesen in tiefer Bewußtlosigkeit befindet, während gleichzeitig seine Nervenenden unaufhörlich von heftigen Schmerzen stimuliert werden.“
„Aber das würde bedeuten, Sie nehmen nur das an der Peripherie befindliche Nervengeflecht wahr, nicht aber das Gehirn“, sagte Conway.
„Das wäre ungewöhnlich.“
„Höchst ungewöhnlich sogar, mein Freund“, erwiderte der Empath.
„Das fragliche Gehirn mü ste von wichtigen Nervensträgen abgetrennt worden sein oder einen schwerwiegenden strukturellen Schaden erlitten haben.“
Kurz gesagt, dachte Conway, haben wir es wahrscheinlich mit einem Patienten zu tun, den irgend jemand längst aufgegeben hat.