Beruhigt sah ich Harey genauer an. Sie war von rückwärts beleuchtet; durch den Vorhangspalt fiel ein Lichtstrahl und vergoldete den samtigen Flaum auf ihrer linken
Wange, und die Wimpern warfen lange Schatten auf Hareys Gesicht. Sie war entzückend. — Na bitte, — dachte ich — so gewissenhaft bin ich, sogar wenn ich nicht wach bin: für die Sonnenbewegung sorge ich, und dafür, daß Hareys Grübchen richtig da ist, wo es sonst niemand hat, unterhalb des Winkels ihrer verwunderten Lippen; aber lieber wäre es mir, wenn das doch schon aus wäre. Ich muß schließlich etwas zu arbeiten anfangen. — Ich drückte die Augenlider zusammen und bemühte mich, aufzuwachen, da hörte ich etwas knarren. Sofort öffnete ich die Augen. Harey saß neben mir auf dem Bett und betrachtete mich ernst. Ich lächelte ihr zu, sie lächelte auch und neigte sich über mich; der erste Kuß war ganz zart, wie der Kuß zweier Kinder. Ich küßte Harey lang. — Darf ich einen Traum so ausnützen? — dachte ich. Aber das war ja nicht einmal Verrat an ihrem Andenken, denn im Traum war sie bei mir, sie selbst. Das hatte ich noch nie erlebt… Weiterhin sagten wir nichts. Ich lag auf dem Rücken; wenn sie den Kopf hob, konnte ich in ihre kleinen Nasenlöcher schauen, die bei ihr immer ein Barometer für die Gefühle waren; vom Fenster her schimmerte die Sonne hindurch. Mit den Fingerspitzen fuhr ich an Hareys Ohrmuscheln entlang, deren Läppchen von den Küssen ganz rosig waren. Ich weiß nicht, ob gerade das mich so beunruhigte; ich sagte mir fortwährend, das sei ein Traum, aber mir krampfte sich das Herz zusammen.
Ich spannte mich, um aus dem Bett zuspringen; ich war darauf vorbereitet, daß mir dies nicht gelingen werde: sehr oft beherrschen wir im Traum den eigenen Körper nicht, er ist wie gelähmt oder wie abwesend; ich rechnete eher darauf, durch diesen Vorsatz aufzuwachen. Ich wachte aber nicht auf, ich setzte mich nur auf und stellte die Füße auf den Boden. — Da hilft nichts, ich muß das zu Ende träumen — dachte ich, aber die gute Laune war spurlos verflogen. Ich fürchtete mich.
— Was willst du? — fragte ich. Meine Stimme war heiser, und ich mußte mich räuspern. Instinktiv suchte ich mit den bloßen Füßen nach Pantoffeln, und ehe mir einfiel, daß ich
hier keinerlei Pantoffel hatte, stieß ich mir so die Zehe an, daß ich zischte. — Na, jetzt wird Schluß sein! — dachte ich mit Genugtuung.
Aber weiterhin geschah nichts. Harey war zurückgewichen, als ich mich aufgesetzt hatte. Sie lehnte den Rücken ans Bettgeländer. Das Kleid vibrierte fein unterhalb der linken Brustspitze, im Rhythmus des Herzschlags. Harey sah mich mit ruhigem Interesse an. Ich dachte, ich sollte am besten unter die Brause, jedoch kam die Reflexion, daß eine geträumte Brause schließlich nicht wecken könne.
— Wie kommst du hierher? — fragte ich.
Harey griff meine Hand auf und begann, sie mit der alten Geste hochzuwerfen, schnippte meine Fingerspitzen hoch und fing sie ein.
— Ich weiß nicht, — sagte Harey. — Ist das schlimm?
Auch die Stimme war dieselbe, ganz dunkel, und auch der zerstreute Tonfall. Immer sprach Harey so, als liege ihr nicht viel an den geäußerten Worten, als sei sie schon mit etwas anderem beschäftigt, dadurch wirkte sie manchmal gedankenlos und manchmal wie ohne alle Scham, da sie alles mit gedämpfter Verwunderung besah, die sich nur in den Augen ausdrückte.
— Hat… jemand dich gesehen?
— Ich weiß nicht. Ich bin ganz gewöhnlich gekommen. Ist das wichtig, Kris?
Sie spielte immer noch mit meiner Hand, aber schon ohne daß das Gesicht daran Anteil nahm. Es verfinsterte sich.
— Harey…?
— Was denn, Liebling?
— Woher hast du gewußt, wo ich bin?
Das machte sie stutzig. Lächelnd ließ sie ein wenig die Zähne sehen, sie hatte so dunkle Lippen, daß man nichts merkte, wenn sie Weichsein gegessen hatte.
— Ich habe keine Ahnung. Komisch, nicht wahr? Du hast geschlafen, als ich hereinkam, aber ich habe dich nicht geweckt. Ich wollte dich nicht wecken, weil du bösartig bist. Bösartig und langweilig — im Rhythmus dieser Worte schlug sie energisch meine Hand hoch.
— Warst du unten, Harey?
— War ich. Von dort bin ich gleich weggelaufen, dort ist es kalt.
Sie ließ meine Hand los, legte sich auf die Seite, warf den Kopf zurück, um alles Haar in die gleiche Richtung hinüberzuschütteln, und blickte auf mich mit diesem halben Lächeln, das mich erst dann nicht mehr aufgebracht hatte, als ich Harey schon liebte.
— Aber… Harey… aber… stammelte ich.