Salman wird glauben, dass er – ausgerechnet er – das Glück hatte, verschwommen, unkenntlich zu erscheinen. Nichts deutet auf seine Teilnahme an dem Treffen mit Raphael Guidi, Carl Palmcrona und Agathe al-Haji hin. Er muss nur leugnen, dass er die vierte Person auf dem Foto ist. Es ist nicht einmal strafbar, sich auf einem unscharfen Bild nicht zu erkennen und sich nicht mehr zu erinnern, dass man sich mit gewissen Personen getroffen hat.
Joona geht zum Eingang.
Aber wenn er es leugnet, wissen wir, dass er lügt und uns etwas verheimlichen will.
Die Luft ist drückend heiß und schwül.
Saga nickt Joona zu, ihr Blick ist ernst, als sie durch die schweren, glänzenden Türen treten.
Und fängt Salman erst einmal an zu lügen, denkt Joona, werden wir dafür sorgen, dass er weiterlügt und sich immer mehr in seiner Lüge verstrickt, bis er feststeckt.
Sie haben einen großen, kühlen Empfangsbereich betreten.
Wenn Pontus Salman sich das Bild ansieht und verneint, dass er die Person identifizieren kann, werden wir sagen, wie schade es ist, dass er uns nicht weiterhelfen kann, fährt Joona in Gedanken fort. Wir werden uns darauf vorbereiten zu gehen, dann jedoch innehalten und ihn bitten, sich das Foto noch ein letztes Mal mit einer Lupe anzusehen. Der Kriminaltechniker hat dafür gesorgt, dass an der herunterhängenden Hand ein Siegelring noch deutlich zu erkennen ist. Wir werden Pontus Salman fragen, ob er vielleicht die Kleider, die Schuhe oder den Ring am kleinen Finger erkennt. Dadurch wird er natürlich gezwungen, auch das zu verneinen, und seine Lügen werden daraufhin Grund genug sein, um ihn zu einer Vernehmung mitzunehmen, Grund genug, ihn unter Druck zu setzen.
Hinter der Rezeption leuchtet ein rotes Emblem mit dem Namen des Unternehmens und einem schlangengleichen Firmensymbol voller Runen.
»Er kämpfte, solange er Waffen hatte«, sagt Joona.
»Du kannst Runen lesen?«, fragt Saga ungläubig.
Joona zeigt auf das Schild mit der Übersetzung und wendet sich anschließend dem Empfang zu, hinter dem ein blasser Mann mit schmalen, trockenen Lippen sitzt.
»Pontus Salman«, sagt Joona kurz.
»Haben Sie einen Termin?«
»Um zwei«, antwortet Saga.
Der Mann am Empfang schaut in seine Unterlagen, blättert und liest etwas.
»Ja, genau«, sagt er leise und blickt auf. »Herr Salman kann den Termin leider nicht wahrnehmen.«
»Das hat uns keiner mitgeteilt«, erwidert Saga. »Wir brauchen seine Hilfe bei …«
»Es tut mir wirklich leid.«
»Rufen Sie ihn an und informieren Sie ihn von dem Missverständnis«, meint Saga.
»Ich kann es versuchen, aber ich glaube eigentlich nicht … er ist nämlich in einer Besprechung.«
»Im vierten Stock«, wirft Joona ein.
»Im fünften«, entgegnet der Mann unwillkürlich.
Saga setzt sich in einen der Sessel. Sonnenstrahlen fallen durch die großen Fensterscheiben herein und verbreiten sich wie ein Feuer in ihrem Haar. Joona bleibt stehen, während der Rezeptionist den Hörer an sein Ohr hält und eine Nummer im Computer markiert. Es klingelt viele Male, und der Mann schüttelt bedauernd den Kopf.
»Legen Sie auf«, sagt Joona. »Wir überraschen ihn einfach.«
»Überraschen«, wiederholt der Rezeptionist mit unsicherem Blick.
Joona geht ohne Umschweife zu einer Glastür, die zu einem Korridor führt, und öffnet sie.
»Sie brauchen nicht Bescheid zu sagen, dass wir kommen«, sagt er lächelnd.
Die Wangen des jungen Rezeptionisten sind von hektischen roten Flecken übersät. Saga steht von der Couch auf und folgt Joona.
»Warten Sie«, versucht der Mann sie aufzuhalten. »Ich will mal schauen, ob ich …«
Sie gehen den Korridor hinunter, betreten den wartenden Aufzug und drücken auf die Fünf. Die Türen schließen sich hinter ihnen, und sie fahren lautlos nach oben.
Als sich die Aufzugtüren öffnen, erwartet Pontus Salman sie bereits. Er ist ein Mann um die vierzig mit einem etwas erschlafften Gesicht, oder vielmehr Mienenspiel.
»Willkommen«, sagt er ziemlich leise.
»Danke«, erwidert Joona.
Pontus Salmans Augen mustern die beiden Polizisten.
»Ein Kommissar und eine Märchenprinzessin«, stellt er fest.
Während sie ihm durch einen langen Korridor folgen, geht Joona in Gedanken noch einmal ihre Falle durch.
Joona spürt, dass ihm ein kalter Schauer über den Rücken läuft – als würde Viola Fernandez in ihrem Kühlfach in der Pathologie in diesem Moment die Augen öffnen und ihn erwartungsvoll ansehen.
Die Fensterscheiben im Flur sind dunkel getönt und erzeugen ein Gefühl von Zeitlosigkeit. Es ist ein sehr großes Büro mit einem Schreibtisch aus Ulmenholz und einer hellgrauen Sitzgruppe um einen schwarzen Glastisch.
Sie nehmen in den Sesseln Platz. Pontus Salman lächelt freudlos, presst die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinander und fragt:
»Worum geht’s?«
»Ist Ihnen bekannt, dass Carl Palmcrona von der Staatlichen Waffenkontrollbehörde tot ist?«, fragt Saga.
Salman nickt zweimal.
»Selbstmord, habe ich gehört.«