Plötzlich überkommt es ihn einfach: Joona sieht den Ablauf der Ereignisse mit eisiger Klarheit vor sich. Er wartet, bis sein Herz sich wieder ein wenig beruhigt hat, lässt sich dann nochmals von den Geschehnissen durchströmen und ist sich anschließend vollkommen sicher, dass er recht hat.
Die als Penelope Fernandez identifizierte Frau ertrank in dem Waschzuber.
Joona sieht den geschwungenen Abdruck auf der Haut über ihrem Brustbein vor sich, der ihm in der Pathologie aufgefallen ist und an einen fröhlich lächelnden Mund erinnerte.
Sie wurde ermordet und auf das Bett in ihrer Kajüte verfrachtet.
Jetzt arbeiten seine Gedanken schneller, Adrenalin schießt durch den Blutkreislauf, sie wurde in brackigem Meerwasser ertränkt und auf ihrem Bett abgesetzt.
Das ist kein gewöhnlicher Mord, das ist kein gewöhnlicher Mörder.
Eine Stimme meldet sich in ihm, wird deutlicher, befehlender. Sie wiederholt vier Worte, immer schneller und immer lauter: »Geh sofort von Bord, geh sofort von Bord.«
Joona sieht durch das Fenster Erixon ein Wattestäbchen in eine kleine Papiertüte legen, sie mit Klebeband verschließen und mit einem Kugelschreiber beschriften.
»Kuckuck«, ruft Erixon.
»Wir gehen an Land«, sagt Joona ganz ruhig.
»Ich mag Boote nicht, sie schaukeln die ganze Zeit, aber ich habe gerade erst angefangen, die …«
»Mach eine Pause«, unterbricht Joona ihn schneidend.
»Was ist denn mit dir los?«
»Komm einfach mit und rühr dein Handy nicht an.«
Sie gehen an Land, und Joona führt Erixon ein Stück von der Jacht fort, ehe er stehen bleibt. Er spürt, wie die Röte in seinen Wangen aufsteigt, wie sich anschließend Ruhe in seinem Körper ausbreitet, eine Schwere in den Schenkeln, den Waden.
»Es gibt eventuell eine Bombe an Bord«, sagt er ruhig.
Erixon setzt sich auf den Rand eines Betonkübels. Schweiß läuft ihm über die Stirn.
»Was redest du da?«
»Das ist kein gewöhnlicher Mord«, erwidert Joona. »Es besteht die Gefahr …«
»Mord? Aber es deutet doch nichts darauf …«
»Warte«, unterbricht Joona ihn. »Ich bin mir sicher, dass Penelope Fernandez in dem Waschzuber ertränkt wurde, der auf Deck steht.«
»Ertränkt? Verdammt, was erzählst du da eigentlich?
»Sie ist in dem Zuber mit Meerwasser ertränkt und anschließend auf das Bett verfrachtet worden«, fährt Joona fort. »Außerdem denke ich, dass das Boot sinken sollte.«
»Aber …«
»Denn dann … Dann hätte man sie mit Wasser in der Lunge in ihrer überfluteten Kabine gefunden.«
»Aber das Boot ist nicht gesunken«, sagt Erixon.
»Und deshalb denke ich, dass es vielleicht eine Sprengladung in dem Boot gab, die aus irgendeinem Grund nicht hochgegangen ist.«
»Dann sitzt sie vermutlich auf dem Benzintank oder auf den Gasflaschen in der Pantry«, meint Erixon bedächtig. »Wir müssen die nähere Umgebung räumen und Sprengstoffexperten anfordern.«
Spende Boerse
13
Noch am gleichen Abend treffen sich um sieben Uhr fünf ernste Männer im Obduktionssaal 13 der rechtsmedizinischen Abteilung des Karolinska-Instituts. Kriminalkommissar Joona Linna möchte die Ermittlungen im Fall der Frau übernehmen, die auf einer Jacht in den Stockholmer Schären tot aufgefunden wurde. Obwohl es Samstag ist, hat er seinen direkten Vorgesetzten Petter Näslund und Oberstaatsanwalt Jens Svanehjälm zu einer Rekonstruktion des Tathergangs hierhergebeten, um die beiden davon zu überzeugen, dass es sich tatsächlich um einen Mordfall handelt.
Eine der Neonröhren an der Decke flackert, und kühl temperiertes Licht spielt auf den glänzenden, weiß gekachelten Wänden.
»Der Starter muss ausgewechselt werden«, sagt Åhlén leise.
»Ja«, erwidert Frippe.
Petter Näslund, der eng an die Wand gedrückt steht, murmelt etwas Unverständliches. Sein breites, kräftiges Gesicht scheint in dem flackernden Licht der Neonröhre zu zittern. Neben ihm wartet Oberstaatsanwalt Jens Svanehjälm mit gereizter Miene. Er scheint abzuwägen, ob er es riskieren kann, seine Lederaktentasche auf dem Fußboden abzustellen und sich mit seinem sauberen Anzug an die Wand zu lehnen.
Ein durchdringender Geruch von Desinfektionsmitteln hängt in dem Raum. Helle, ausrichtbare Lampen sind über einem freistehenden Tisch aus rostfreiem Stahl mit doppelten Wasserhähnen und einem tiefen Becken an der Decke befestigt. Der Boden ist mit hellgrauen PVC-Platten ausgelegt. Eine Zinkwanne, die der auf dem Boot gleicht, ist bereits halb gefüllt. Joona Linna geht immer wieder zu dem Wasserhahn an der Wand, um einen Eimer zu füllen, den er anschließend in den Zuber leert.
»Es liegt ehrlich gesagt noch kein Verbrechen vor, wenn jemand ertrunken auf einem Boot gefunden wird«, sagt Svanehjälm ungeduldig.
»Sehr richtig«, pflichtet Petter ihm bei.
»Es könnte sich um einen Tod durch Ertrinken handeln, der nur noch nicht zur Anzeige gebracht wurde«, fährt Svanehjälm fort.
»Das Wasser in der Lunge ist das gleiche Wasser, auf dem das Boot trieb, aber es gibt im Prinzip nichts von diesem Wasser in den Kleidern und am restlichen Körper«, erläutert Nils Åhlén.
»Seltsam«, sagt Svanehjälm.