Es dämmerte, als Pendergast schließlich die gegenüberliegende Seite des Irrgartens erreichte, wo der einsame Mitarbeiter der Kriminaltechnik eben seine Sachen packte und den Tatort verlassen wollte. Pendergast zeigte ihm den FBI-Ausweis, worauf sich der Mann als hilfreicher erwies, als der Polizist es gewesen war. Er deutete zu einem Bereich hinter der Hecken-Wand, in dem zahlreiche kleine Markierungsfähnchen zu erkennen waren. Dort war der Mulch fast schwarz und sehr feucht – durchtränkt von einer großen Menge Blut. Wieder ging Pendergast in die Hocke und drückte die Fingerspitzen leicht in den Boden, wobei ihm auffiel, wie schwammig dieser war.
Er zog eine kleine Stift-Taschenlampe hervor und leuchtete damit umher. »Was können Sie mir über die Morde sagen?«
»Wie’s aussieht, hat der Täter dem Opfer als Erstes mit einem Messer eine Verletzung am Hals zugefügt«, sagte der Kriminaltechniker und zog seinen Mundschutz herunter. »Die Frau wurde von dem Weg zu dieser entlegenen Stelle gezerrt, dann wurde ihr mit einem sehr scharfen Messer von hinten die Kehle durchtrennt und anschließend mit irgendeinem großen Instrument – vermutlich einem Hackbeil – der Brustkorb geöffnet und das Herz entfernt. Der Rechtsmediziner glaubt, dass die Frau zur Zeit der Entnahme bereits bewusstlos war – dass sie am Blutverlust gestorben ist. Am Ende wurde sie unter die Hecke hier gerollt und der lockere Mulch mit den Füßen über die Leiche verstreut.«
»Blutspritzer?«
»Was man so erwarten kann. Hauptsächlich Spritzflecken auf der Unterseite der Hecke und auf dem Mulch in der Nähe.«
»Der ungefähre Todeszeitpunkt?«
»Um vier Uhr heute Morgen, plus/minus.«
»Und sie wurde gefunden von –?«
»Einem frisch verheirateten Paar aus Seattle. Sie hatten sich die Stelle ausgesucht, um herumzumachen.« Der Mann deutete mit einem Nicken zu einer Sitzbank in der Nähe.
»Das war so gegen halb elf, richtig?«
»Um Viertel nach zehn, ja.«
Pendergast blieb weiter in der Hocke sitzen und sah sich um. Die Hecke war dicht. Um vier Uhr morgens, in einer mondlosen Nacht, wäre dieser Ort in der Tat sehr dunkel gewesen. Die Uferpromenade und der Strand wären menschenleer gewesen, zumindest fast. Er schaute hoch; die Palmen und die Ziersträucher verdeckten die Sicht auf die nächstgelegenen Hotels. Angesichts der Bevölkerungsdichte auf der Düneninsel eignete sich die Stelle gut, um einen Mord zu begehen.
»Darf ich noch eine Zeit lang bleiben?«, fragte er. »Auch wenn ich keine Schutzkleidung trage?«
»Kein Problem, wir sind hier fertig«, antwortete der Kriminaltechniker.
Sorgfältig durchsuchte Pendergast eine Viertelstunde lang den Bereich. Gelegentlich brachte er dabei seine Lupe, die Pinzette, die Taschenlampe und das Smartphone zum Einsatz. Doch es war so, wie Kleinwessel gesagt hatte – es gab hier wenig zu sehen.
Schließlich stand er auf. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Geduld.«
»Keine Ursache.« Der Mann griff nach seinem Koffer und begab sich zum Ausgang des Hecken-Irrgartens.
Pendergast lief ihm hinterher. »Gibt es sonst noch etwas Beachtenswertes an dem Mord?«
»Nichts – außer dass wir ein paar Schuhabdrücke mit Blut gefunden haben, die vom Tatort wegführen.«
»Schuhabdrücke?« Pendergast hob die Brauen. »Das ist doch wohl beachtenswert.«
»Die Abdrücke stammen von einem Paar billiger Männersandalen, große Schuhgröße. Die bekommt man in jedem Geschäft und werden schnell wieder weggeworfen. Ich kann da leider nicht genauer sein. Viel Glück, wenn Sie die ausfindig machen wollen – die trägt hier jeder, Tag und Nacht.«
»Jeder?«
»Alle Touristen und wahrscheinlich die Hälfte der Einheimischen.« Sie näherten sich dem Tatort-Absperrband. »Wir sind hier an der Küste Floridas, richtig? Haben Sie etwa vor, sich mit denen in die Sonne zu legen?« Mit einem Nicken zeigte er auf Pendergasts Budapester-Schuhe, deren Leder selbst im abendlichen Dämmerlicht matt glänzte.
»Ich verstehe, was Sie meinen.« Pendergast hielt inne. »Bei Tag und Nacht, sagten Sie?«
»Ganz recht.« Einen Moment lang blieb Pendergast stehen und schaute in die Ferne. »Was für merkwürdige Bräuche Sie hier doch haben, mein Freund.«
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Über Douglas Preston / Lincoln Child
Douglas Preston, geboren 1956, studierte zunächst Naturwissenschaften und später Englische Literatur. Nach dem Examen startete er seine Karriere beim »American Museum of Natural History« in New York. Eines Nachts, als Preston seinen Freund Lincoln Child, geboren 1957, auf eine mitternächtliche Führung durchs Museum einlud, entstand dort die Idee zu ihrem ersten gemeinsamen Thriller,
Impressum
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »City Of Endless Night« bei Grand Central Publishing, New York.
© 2018 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2018 by Splendide Mendax, Inc. und Lincoln Child