Tally sah sich schaudernd um. Über ihren Köpfen brannte es noch immer. Der Himmel über dem Wald loderte noch immer rot im Widerschein der Flammen. Hier unten aber, hundert Meter unter der Ebene, auf die sich das Leben auf der Flucht vor dem namenlosen Schrecken des Schlundes zurückgezogen hatte, herrschte ein sonderbares, dunkelgraues Licht, das Tally mit Unbehagen erfüllte; einem fast körperlichen Unwohlsein, gegen das sie wehrlos war. Je intensiver sie versuchte, sich dagegen zu wehren, desto stärker schien es im Gegenteil zu werden. Es war ein Licht, das an Krankheit und Fäulnis erinnerte.
Sie hatte Angst.
Noch hatten sie den eigentlichen Boden nicht erreicht – Karan hatte angehalten, als der schwarze Sumpf des Grundes noch zwei, drei Schritte unter ihnen lag, und niemand, auch Angella nicht, hatte ihn zum Weitergehen gedrängt. Plötzlich verstanden sie alle, wovor Karan solch panische Angst hatte, Es waren keine Ungeheuer, keines der tausend gefräßigen Monster; die dieser Wald beherbergen mochte – es war der Wald selbst.
Was Tally oben, beim Anblick des versteinerten Baumes, schon einmal und nur sehr flüchtig gespürt hatte, das fühlte sie hier hunderttausendmal heftiger. Das Böse. Der Sumpf lag schwarz und tot und glatt wie ein Meer aus erstarrtem Pech unter ihnen, aber sie spürte das finstere, durch und durch
Angella berührte sie sacht an der Schulter und deutete nach rechts. Tallys blick folgte der Geste. Sie sah, daß der Boden nicht so leer war, wie Karan ihnen hatte glauben machen wollen: in einiger Entfernung erhoben sich eine Anzahl übermannshoher, bleicher Gebilde aus dem schwarzen Morast, Dinge von schwer zu erfassender Form, die sie erst nach einiger Zeit als gigantische Pilzgewächse zu identifizieren glaubte. Das unheimliche,
»Schaut nicht hin«, flüsterte Karan, dem ihre Blicke nicht entgangen waren. »Es mag sein, daß ihr Dinge seht, die nicht gut sind.«
Weder Tally noch Angella widersprachen. Beinahe hastig sahen sie weg. Tally hatte nur noch Angst.
»Wie... geht es weiter?« fragte Angella mit zitternder Stimme. Ihre Hand schmiegte sich so fest um den Schwertgriff, daß ihre Knöchel knackten. Es war eine Geste ohne jede Bedeutung. Gegen die Gefahren, die hier unten auf sie lauern mochten, waren ihre Waffen wirkungslos.
»Es gibt... Wege durch den Sumpf«, murmelte Karan. »Aber sie sind gefährlich. Ein falscher Schritt...«
Er seufzte, drehte sich zu Tally herum und blickte nach oben. Der Wald und das gewaltige Netz schwebten wie ein geronnener schwarzer Himmel über ihnen, ein Netz aus Finsternis und braunen und grünen Strängen, durch dessen Lücken düsterroter Hammenschein wie Blut tropfte.
»Und wenn wir hier bleiben?« schlug Tally vor. Sie deutete nach unten, auf den gewaltigen Baumstamm, auf dem sie standen. »Vielleicht finden sie uns nicht.« Karan schüttelte den Kopf. »Sie werden es nicht wagen, Karan und euch hierher zu folgen«, sagte er.
»Aber hier zu verweilen, bedeutet den Tod. Ihr seid schon zu lange an einem Fleck. Nur Bewegung kann euch retten.«
Er atmete hörbar aus, drehte sich wieder herum und blickte konzentriert nach unten. Dann deutete er nach links, hinein in das schattenerfüllte graue Licht, das wie Nebel über dem Sumpf hing.
»Dort entlang. Folgt Karan. Geht genau in seiner Spur. Weicht nicht davon ab, was immer auch geschehen sollte!«
»Und wenn Karan einen Fehltritt macht?« fragte Angella nervös.
»Dann sterbt ihr mit ihm«, antwortete Karan ruhig.
»Kommt!«
Alles in Tally schien sich wie in einem entsetzlichen Krampf zusammenzuziehen, als erst Karan und dann Angella auf den Boden heruntersprangen und die Reihe an sie kam, ihnen zu folgen. Es war nicht nur einfache Angst – es war, als wehre sich ihr Körper ganz eigenständig dagegen, dem unsichtbaren finsteren