Sobald ich das Krankenhaus für längere Zeit verlassen durfte (ich musste noch weitere fünf Jahre zu verschiedenen Operationen und Behandlungen kommen), begann ich mein Studium an der Universität von Tel Aviv. Schon im ersten Semester besuchte ich ein Seminar, das meine Einstellung zur wissenschaftlichen Forschung tiefgreifend veränderte und richtungweisend für meine Zukunft wurde. Es war ein Seminar über die Physiologie des Gehirns von Professor Hanan Frenk. Was mich, abgesehen von den faszinierenden Erkenntnissen über die Funktionsweise des Gehirns, die Professor Frenk uns nahebrachte, am meisten beeindruckte, war seine Haltung zu Fragen und alternativen Theorien. Wenn ich mich im Seminar meldete oder in seinem Büro vorbeischaute und zu der einen oder anderen seiner Darstellungen eine abweichende Interpretation vortrug, antwortete er mir oft, meine Theorie sei in der Tat eine Möglichkeit (ziemlich unwahrscheinlich, aber dennoch eine Möglichkeit) – und dann forderte er mich auf, mir ein Experiment zu überlegen, mit dem ich sie entgegen der herkömmlichen Theorie bestätigen könnte.
Solche Experimente auszuarbeiten war nicht einfach, aber der Gedanke, dass Wissenschaft ein auf Empirie basierendes Unterfangen ist, bei dem alle Beteiligten, auch ein frischgebackener Student wie ich, alternative Theorien entwickeln konnten, solange sie eine Möglichkeit fanden, diese Theorien experimentell zu überprüfen, eröffnete mir eine ganz neue Welt. Bei einem meiner Gespräche in seinem Büro unterbreitete ich Professor Frenk eine Theorie, wie ein bestimmtes Stadium der Epilepsie zustande kommt, und auch gleich eine Idee, wie man das Ganze an Ratten testen könnte.
Mein Vorschlag gefiel Professor Frenk, und so operierte ich in den folgenden drei Monaten um die fünfzig Ratten, implantierte ihnen Katheter im Rückenmark und spritzte ihnen verschiedene Substanzen, die ihre epileptischen Anfälle verstärkten oder dämpften. Dabei stellte sich das praktische Problem, dass ich meine Hände wegen der Verbrennungen nur eingeschränkt bewegen konnte und es deshalb sehr schwierig für mich war, die Ratten zu operieren. Zum Glück erklärte sich mein bester Freund Ron Weisberg (ein überzeugter Vegetarier und Tierfreund) bereit, mehrere Wochenenden mit mir ins Labor zu kommen und mir bei den Operationen zu helfen – ein Beweis echter Freundschaft, wie es ihn wohl selten gibt.
Am Ende stellte sich meine Theorie als falsch heraus, doch das tat meiner Begeisterung keinen Abbruch. Ich hatte etwas dazugelernt, und auch wenn meine Theorie falsch war, so war es doch gut, ebendies mit großer Sicherheit zu wissen. Ich war schon immer neugierig und wollte wissen, warum sich die Menschen wie verhalten, und meine neue Erkenntnis – dass mir die Wissenschaft die Werkzeuge und Möglichkeiten an die Hand gibt, alles mir interessant Erscheinende zu erforschen – verlockte mich dazu, mich dem Studium des menschlichen Verhaltens zu widmen.
Anfangs konzentrierte ich mich vor allem darauf, mit Hilfe dieser neuen Werkzeuge zu verstehen, wie wir Schmerz erleben. Aus naheliegenden Gründen beschäftigte ich mich insbesondere mit Situationen wie dem Verbandwechsel bei Brandverletzten, bei der einem Patienten über längere Zeit Schmerz zugefügt werden muss. Wie ließen sich derartige Torturen erträglicher machen? Im Laufe der folgenden Jahre konnte ich eine ganze Reihe von Experimenten an mir selbst, mit Freunden und freiwilligen Versuchspersonen durchführen – mit körperlichem Schmerz, ausgelöst durch Hitze, kaltes Wasser, Druck und laute Geräusche, sowie dem durch Verluste am Aktienmarkt verursachten seelischen Schmerz –, um den Antworten auf die Spur zu kommen.
Nach diesen Experimenten war mir klar, dass die Schwestern auf der Station für Brandverletzte freundliche, hochherzige Menschen waren (na ja, mit einer Ausnahme) – mit enormen Erfahrungen beim Verbandwechsel –, aber dennoch gingen sie hinsichtlich der Frage, wie sich die Schmerzen ihrer Patienten lindern ließen, von falschen theoretischen Voraussetzungen aus. Wie konnten sie sich angesichts ihrer großen Erfahrung nur so irren, fragte ich mich. Da ich die Schwestern alle persönlich kannte, wusste ich, dass sie sich nicht aus böser Absicht, aus Dummheit oder Nachlässigkeit so verhielten. Vielmehr waren sie höchstwahrscheinlich Opfer vorgefasster Meinungen zum Schmerzempfinden ihrer Patienten, die offenbar nicht einmal durch ihre enorme Erfahrung revidiert wurden.