Wtorows Schilderung nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Schule, Komsomol, Institut, drei Jahre Arbeit in einem Projektierungsbüro und der Entschluß, sein ganzes Leben der Raumfahrt zu weihen — das war alles, was er von sich zu berichten wußte.
„Sie sagen, daß Sie vor kurzem geheiratet haben?“ fragte Melnikow. „Wie steht denn Ihre Frau zu Ihrem Vorhaben?“ „Sie ist voll und ganz damit einverstanden.“ „Gut. Ich werde dem Expeditionsleiter alles vortragen. Kommen Sie übermorgen früh wieder. Damit wir keine Zeit verlieren, gebe ich Ihnen aber schon ein paar Zeilen mit für den Expeditionsarzt, Stepan Arkadjewitsch Andrejew. Fahren Sie zu ihm. Sie sehen zwar sehr gesund aus, aber ob Sie es sind, das muß geprüft werden.“ Nachdem Wtorow gegangen war, blieb Melnikow eine Weile tief in Gedanken versunken sitzen. Der Besuch des jungen Ingenieurs und die Unterhaltung mit ihm riefen jenen weit zurückliegenden Abend ins Gedächtnis zurück, an dem er selber mit den gleichen Absichten wie Wtorow zu Kamow gegangen war.
In den acht Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte Melnikow sich‘ sehr verändert. Er war als Siebenundzwanzigjähriger gegangen, den man jedoch seinem Aussehen nach für zwanzig hätte halten können. Inzwischen war aus ihm ein Fünfunddreißigjähriger geworden, der älter aussah, als es seinen Jahren entsprach. Die jugendliche Rundung seiner Wangen und der fröhliche Glanz seiner Augen waren verschwunden. Was er auf dem Mars erlebt hatte, die Teilnahme an den beiden schwierigen Mondexpeditionen und die angestrengte geistige Arbeit — all das hatte ihm seinen Stempel aufgedrückt. Um die Mundwinkel zeichneten sich erste Falten ab, und der Ausdruck seiner Augen wurde von jener unerschütterlichen Ruhe geprägt, die ihn seinerzeit bei Kamow beeindruckt hatte. Über die linke Stirnhälfte zog sich eine tiefe Narbe, als Erinnerung an einen tragischen Unfall — ein Meteorit hatte den Tank ihres Geländewagens durchschlagen und eine Explosion verursacht. Er und Paitschadse waren damals nur wie durch ein Wunder gerettet worden. An seiner linken Hand fehlte ein Finger — er hatte ihn beim Sturz in einen Mondspalt verloren, der zum Glück nicht tief gewesen war.
Viele andere Zwischenfälle hafteten ihm noch im Gedächtnis.
Jeden Schritt eines Sternfahrers umlauern tödliche Gefahren.
Die Natur gibt ihre Geheimnisse nicht gern preis. Jedes muß man ihr mit Gewalt entreißen. Der Erforscher des kosmischen Raumes muß umfangreiche Kenntnisse und grenzenlosen Mut besitzen, muß fest mit seiner Arbeit verbunden und jeden Augenblick bereit sein, für sie sein Leben zu lassen. Kamows Verhalten beim tragischen Start von „SSSR-KS 2“ auf dem Mars war zum ewigen Vorbild für alle Raumfahrer geworden.
Melnikow, der sich nüchtern einschätzte, wußte, daß er heute alle notwendigen Eigenschaften besaß.
Acht Jahre beharrliche Arbeit…
Drei Jahre lang hatte Melnikow an der physikalisch-mathematischen Fakultät studiert, vier Jahre hatte er sich mit Astronomie und Astronautik beschäftigt, zweimal war er — als Mitglied einer sowjetischen und englischen Expeditionsgruppe — zum Mond geflogen. Er hatte Wissen und Erfahrung erworben.
Melnikow erinnerte sich der energischen Gesichtszüge Wtorows, seiner hellblauen Augen, in denen Verstand aufleuchtete, und gelangte zu dem Schluß, daß Professor Balandin sich in dem jungen Mann wohl nicht getäuscht habe.
Ingenieur Wtorow hatte auf Melnikow einen sehr guten Eindruck gemacht. Die Übereinstimmung ihrer Ansichten trug dazu in nicht geringem Maße bei. Ebenso wie Melnikow vor acht Jahren drängte Wtorow nach seiner ersten Fahrt in den Kosmos, und er würde im Raumschiff die gleichen Pflichten zu erfüllen haben. Und auch er würde auf der Erde eine junge Frau zurücklassen.
Melnikow schloß die Augen. Wie leibhaftig stand ihm die Frau, die er liebte, vor Augen — und er fühlte, wie sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog.
Die Liebe versetzt alles in Bewegung!
Die Liebe zu den Menschen, die Liebe zur Familie, die Liebe zur Arbeit und schließlich die Liebe zum Wissen, die den Menschen zum Herrn der Erde gemacht hat.
Boris Melnikow liebte die Arbeit.
Das war die Stimme des Blutes. Sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater waren Arbeiter gewesen. Er selbst hatte zwar einen anderen Weg eingeschlagen, er war Journalist geworden. Aber auch hier dehnte sich vor ihm ein weites Schaffensfeld. Er hatte seinen Beruf leidenschaftlich geliebt und geglaubt, ihm nie untreu werden zu können. Aber da begegnete er Kamow.
Eine märchenhafte Wendung des Schicksals — er wurde an Bord eines Raumschiffes verschlagen, und alles änderte sich von Grund auf. Ihm wurde klar, daß es für ihn ein Leben ohne Fahrten in den Kosmos nicht mehr geben könne, und er war überzeugt, für alle Zeit die Erfüllung gefunden zu haben.
Doch auch seine Stunde kam. Die Liebe zu einer Frau, das älteste und mächtigste Gefühl des Menschen, packte ihn, als er zweiunddreißig Jahre alt war.