„Nicht ohne Physiologieband“, antwortete Gilvesh.
„Sie bekommen weder ein Band noch sonst irgendwas“, lehnte O'Mara in bestimmtem Ton kategorisch ab.
Conway fuhr zum Bild des Chefpsychologen herum und wollte protestieren, aber O'Maras Antwort kannte er bereits.
„Doktor, als Sie lebensbedrohlichen Verseuchungsalarm gegeben haben, war das, wie ich vermute, zwar nur eine instinktive, aber dennoch korrekte Handlung“, fuhr der Chefpsychologe grimmig fort. „Dadurch haben Sie wahrscheinlich Tausenden von Wesen im Hospital das Leben gerettet.
Aber ein Kontaminierungsalarm Stufe eins bedeutet nun einmal, daß der verseuchte Bereich bis zum Aufspüren und Beheben der Ursache der Kontaminierung abgeriegelt bleibt. Und im vorliegenden Fall ist das noch viel ernster zu nehmen. Bei Ihnen scheint nämlich ein Bazillus virulent sein, der die warmblütigen Sauerstoffatmer des Hospitals stark dezimieren könnte. Aus diesem Grund ist Ihre Station hermetisch abgeriegelt worden.
Ihnen stehen zwar weiterhin Energie, Licht, Kommunikations- und Übersetzungsgeräte zur Verfügung, aber Sie sind inzwischen vollständig vom Hauptluftversorgungssystem und dem automatischen Nahrungsvertriebsnetz abgeschnitten. Sie werden auch keinerlei Medikamente erhalten. Außerdem wird man kein Lebewesen, kein Gerät und keine Probe aus Ihrer Station herauslassen. Kurz, ich werde weder Doktor Gilvesh einen Besuch bei mir wegen eines Physiologiebands gestatten, noch irgendeinem kelgianischen, melfanischen oder tralthanischen Arzt die freiwillige medizinische Hilfe bei den betroffenen Wesen auf ihrer Station erlauben. Haben Sie das verstanden, Doktor?“
Conway nickte langsam.
Während O'Mara Conway mehrere Sekunden lang musterte, zeigte sich auf den kantigen Gesichtszügen des Chefpsychologen ein tiefes und für ihn ganz untypisches Mitgefühl. Es hieß, O'Maras normalerweise aggressive und sarkastische Art wäre nur seinen Freunden vorbehalten, in deren Gesellschaft er sich gern entspannte und bei denen er seiner Übellaunigkeit freien Lauf lassen konnte, ohne daß jedes Wort von ihm auf die Goldwaage gelegt wurde. Ruhig und mitfühlend sei er dagegen nur, wenn er sich in seiner Funktion als Psychologe über jemanden wirklich Sorgen machte.
Er hat unglaublich viele Freunde, dachte Conway, und im Moment stecke ich gerade bis zum Hals in Schwierigkeiten… „Sie wollen bestimmt wissen, wieviel Zeit ihnen noch verbleibt. Nun, die Werte ergeben sich aus den Sauerstoffvorräten auf der Station und in den Tanks und aus der Anzahl der momentan Anwesenden und dem für ihre jeweilige Spezies spezifischen Sauerstoffbedarf“, fuhr der Major fort.
„Diese Angaben kann ich Ihnen in ein paar Minuten übermitteln. Und noch etwas, Conway. Sehen Sie bloß zu, daß Sie eine Lösung finden…“
Mehrere Sekunden lang starrte Conway auf den leeren Bildschirm und sagte sich selbst, daß er ohne Physiologieband weder Thornnastor noch Edanelt, der kelgianischen Schwester oder dem Teammitglied wirklich helfen konnte, die wie aus dem Nichts ihre Rollen als medizinische Kräfte mit denen schwerkranker Patienten vertauscht hatten.
Normalerweise hätte sich Dr. Gilvesh ein DBLF-Physiologieband ins Gehirn überspielen lassen und bei der Kelgianerin wie selbstverständlich einen Luftröhrenschnitt durchgeführt. Außerdem hätte der illensanische Chefarzt bei O'Mara wahrscheinlich auch gleich auf die Einspielung des tralthanischen Bands für Thornnastor und der ELNT-Version für Edanelt bestanden. Diesem Wunsch wäre der Chefpsychologe sicherlich auch nachgekommen, wenn er Gilvesh' psychische Verfassung für stabil genug erachtete hätte, kurzfristig drei Physiologiebänder auf einmal gespeichert zu haben. Aber Gilvesh durfte selbst dann nicht die Station verlassen, wenn sein eigenes Leben davon abhing — was schon sehr bald der Fall sein würde.
Conway bemühte sich, nicht an den schwindenden Luftvorrat in der Drucktragbahre zu denken, wo fünf oder sechs ETs rapide den in Behältern gespeicherten Sauerstoff verbrauchten. Er versuchte auch, den Gedanken an die Wesen zu verdrängen, die an den Wänden entlang mit den eigentlich für Patienten vorgesehenen Atemmasken verbunden waren. Den von den Mitgliedern des Transportteams und ihm selbst getragenen vierstündigen Sauerstoffvorrat oder die infizierte und verbrauchte Luft auf der Station wagte er sich gar nicht erst vorzustellen. Und die Überlegungen über die von Gilvesh mitgeführte, streng begrenzte Menge an atembarem Chlor oder die vom TLTU benötigte überhitzte Atmosphäre schob er gleich beiseite.
Zuallererst mußte er an die Patienten denken und versuchen, sie so lange wie möglich am Leben zu erhalten. Und das nicht nur, weil es sich um Freunde und Kollegen handelte, sondern auch, weil sie als erste befallen worden waren. Er mußte den Infektionsverlauf so vollständig wie möglich aufzeichnen, damit die Hospitalärzte aller Dienstgrade und Spezies später genau wissen würden, welche Krankheit sie zu bekämpfen hatten.