Die Luke schwang auf, und Haslam, Conway und Dodds betraten die Schleusenkammer der Tenelphi. Haslam überprüfte die Kontrollinstrumente, während Dodds die Außenluke schloß. Der Innendruck des Schiffs war zwar gefährlich niedrig, für eine gesunde Person in guter körperlicher Verfassung jedoch keinesfalls tödlich. Was er allerdings bei einem ungeschützten Unfallopfer bewirken konnte, das sich womöglich in einem Schockzustand befand und an Auswirkungen der Dekompressionskrankheit litt, die den Blutverlust selbst bei nur oberflächlichen Schnitt- und Rißwunden beschleunigte, war eine ganz andere Sache. Plötzlich öffnete sich die Innenluke, wegen des Druckunterschieds blähten sich ihre Anzüge knirschend auf, und sie begaben sich schnell in das Schiffsinnere.
„Das glaube ich einfach nicht!“ rief Haslam entsetzt.
Die Schleusenvorkammer war mit Gestalten in Raumanzügen überfüllt, die frei an den Enden von Seilen oder Gurten umhertrieben, die an Ausrüstungshalterungen oder an anderen geeigneten Befestigungspunkten festgebunden waren. Das Notbeleuchtungssystem funktionierte noch, und es war ausreichend hell, um alle Einzelheiten der Gestalten erkennen zu können. So waren jedem Mann die Beine zusammengebunden und die Arme fest an den Seiten gefesselt worden. Zudem trug jeder zusätzliche Sauerstoffbehälter auf dem Rücken. Da alle ausschließlich schwere Raumanzüge aus sehr strapazierfähigem Material trugen, konnten die festen Gurte die darunterliegenden Gliedmaßen und Körperteile weder einschnüren, noch auf eventuell erlittene Wunden drücken. Überall wurden die Helmvisiere durch die fast undurchsichtigen Sonnenfilter verdeckt.
Conway drängte sich vorsichtig zwischen zwei der schwebenden Gestalten, und hielt einen der Körper fest. Vorsichtig schob er den Sonnenfilter am Helm des Schiffbrüchigen zurück. Zwar war die Innenseite des Visiers stark beschlagen, doch konnte er ein Gesicht erkennen, das übermäßig rot angelaufen war. Die Augen wurden bei den ersten eindringenden Lichtstrahlen sofort krampfartig zusammengekniffen. Er schob den Filter weiterer Unfallopfer zurück, stets mit demselben Resultat.
„Losbinden und sofort aufs Unfalldeck bringen!“ befahl Conway.
„Lassen Sie die Arm- und Beinfesseln erst einmal dran. So sind sie einfacher zu bewegen, und zudem stützen die Riemen eventuell gebrochene Gliedmaßen. Das ist doch nicht die komplette Crew, oder?“
Natürlich war das keine wirkliche Frage, denn irgend jemand mußte die Opfer ja zusammengebunden und für eine schnelle Evakuierung zur Luftschleuse der Tenelphi gebracht haben.
„Hier sind neun, Doktor“, antwortete Haslam nach einer schnellen Zählung. „Ein Besatzungsmitglied fehlt. Soll ich nach ihm suchen?“
„Jetzt nicht“, entgegnete Conway und dachte, daß sich der noch fehlende Offizier sehr umsichtig verhalten hatte: So hatte er zunächst eine Nachricht per Subraumfunk gesendet, dann eine Notsignalbake ausgesetzt, als der automatische Auslösungsmechanismus versagt hatte oder er ihn nicht hatte bedienen können, und schließlich hatte er seine Kameraden von ihren Posten aus den verschiedenen Teilen des Schiffs bis hierher zur Schleusenvorkammer gebracht. Es war nicht auszuschließen, daß er sich während dieser Aktionen seinen Raumanzug beschädigt hatte und notgedrungen irgendwo einen luftdichten Abschnitt aufsuchen mußte, um dort auf seine Rettung zu warten.
Conway schwor sich, daß der Mann, der all diese Dinge vollbracht hatte, auch gerettet werden mußte! Während er Haslam und Dodds half, die ersten Verletzten zur Rhabwar hinüberzubringen, beschrieb Conway per Funk dem medizinischen Personal auf dem Unfalldeck und dem Captain die Lage. Dann fragte er noch: „Prilicla, sind Sie dort drüben ein paar Minuten lang zu entbehren?“
„Ohne weiteres, mein Freund“, antwortete der kleine Empath. „Meine Muskulatur ist sowieso nicht kräftig genug, um bei der Behandlung von DBDG-Verletzten direkt zur Hand zu gehen, und meine Hilfe ist von daher eher moralischer als medizinischer Art.“
„Sehr gut“, entgegnete Conway. „Unser Problem ist ein fehlendes Besatzungsmitglied, das vielleicht verletzt ist, möglicherweise eben aber auch nicht. Wahrscheinlich hat die betreffende Person in einer luftdichten Kammer Schutz gesucht. Würden Sie ihren Aufenthaltsort bestimmen, damit wir keine Zeit mit der Durchsuchung des havarierten Schiffs vergeuden? Tragen Sie eine Druckhülle?“
„Ja, mein Freund“, erwiderte Prilicla. „Ich komme sofort.“
Es dauerte beinahe fünfzehn Minuten, bis die Unfallopfer von der Tenelphi in das Ambulanzschiff überführt waren. Zu diesem Zeitpunkt schwebte Prilicla entlang der Außenhaut des Schiffsrumpfs hin und her, um zu versuchen, die emotionale Ausstrahlung des fehlenden Besatzungsmitglieds aufzuspüren. Conway blieb im Innern des havarierten Schiffs und bemühte sich, seine Ungeduld und Sorge unter Kontrolle zu halten, um den Cinrussker nicht abzulenken.