Das Besteck klimpert im Plastikeimer, den Ur-Oma auf den Tisch neben den Tellerstapel knallt. Sie stellt sich mir breitbeinig in den Weg, ganz nach ihrem Vorbild, dem Chefgenossen aller Cowboys – Marschall Rooster, allerdings mit Gabeln statt Colts an der Hüfte: wohin Verbrecher? Sie trägt sogar ihre Augenklappe. Jedes Mal, wenn wir in Veletovo zu Besuch sind, muss ich mir mit Ur-Oma ansehen, wie sich der mürrische Trunkenbold Rooster und Miss Ross in die Haare kriegen.
So, genauso, habe ich früher ausgesehen, nur mit rosiger Haut, seufzt Ur-Oma und zeigt auf Miss Ross. Ur-Omas Tränen beim Abspann folgt das High Noon auf der Veranda. Im Winter, wenn die Grillen nicht zu hören sind, übernimmt Ur-Oma ihre Rolle. Sie presst die Lippen zusammen und zirpt Furcht erregend. Ihre Fingerpistolen trägt sie tief, zückt sie immer schneller als der ewige Grünschnabel. Ur-Oma ist schneller als der Wind und kann mit ihrer Augenklappe spöttischer dreinblicken als John Wayne.
Sehr alte Menschen leben zwei Leben. Im ersten Leben husten sie, gehen gebeugt, seufzen: ach, ach, ach! Im anderen, dem Augenklappenleben, tratschen sie mit Brennnesseln über die Nachbarn, halten sich für einen Sheriff und verlieben sich in Verandastühle oder Bienen.
Wohin Verbrecher?, gleitet Ur-Omas Hand an der Hüfte herab, der Daumen entsichert die Gabel. Ich täusche rechts an und stürme links an ihr vorbei ins Haus. Mann, Ur-Oma! Es ist High Noon im Bauch! Sekunden, die über Weltrekorde im Sichindiehosenmachen entscheiden, aus dem Weg!
Das neue Klo. Innenklo. Die halbe Wand haben Ur-Opa und vier Ochsen dafür rausgerissen, vier Ochsen können so was gut, zwei wären besser gewesen, dann hätte man sich später nicht überlegen müssen, was tun mit zu viel Loch und dem niedergerissenen Geländer. Ur-Opa fand schnell die Lösung und fügte das neue Klo an den Balkon – der ist jetzt kleiner, dafür ist das Klo größer, und man kann es vom Balkon aus durch einen Vorhang betreten, Lüftung inklusive, sagt Ur-Oma. Gleichzeitig wurde der vierhundertjährige Zar Außenklo gestürzt und man musste nie wieder im Stehen müssen. Vor Jahren der erste Fernseher im Dorf, schwarz-weiß, zwei Programme, im zweiten die herumwuselnden Pünktchen, die sich Ur-Oma vor dem Schlafengehen ansah, jetzt das erste Innenklo – meine Urgroßeltern waren der Zeit in Veletovo immer vierzig Kilometer voraus.
Das neue Klo wurde mit einem Fest eingeweiht. Im Ausland denken die Leute, dass wir hier immer feiern, sagt mein Gastarbeiteronkel. Das stimmt nicht ganz, wir müssen ja auch irgendwann das Gefeierte aufräumen. Außerdem kostet so ein Fest auch allerhand, also müssen die Eltern tagsüber arbeiten. Meinen Urgroßeltern ist für ein Fest aber tatsächlich jeder Anlass recht. Einmal haben sie zwei Nächte durchgefeiert, weil Ur-Oma einen faustgroßen Meteoriten zwischen den Karotten gefunden hatte. Das war eine Stunde, nachdem Superman im neuen Fernseher gezeigt wurde. Aus dem Meteoriten, drei Kilo Karotten und sieben Geheimgewürzen kochte Ur-Oma Suppe. Das ganze Dorf, rief sie um Mitternacht mit glasigen Augen und versuchte mit einem Judo-Griff eine Eiche zu entwurzeln, das ganze Dorf riecht nach Kryptonit!
Zum Klofest kamen alle Nachbarn. Selbst Radovan Bunda aus dem hohen Gebirge, der Strom nur vom Hörensagen kannte und mit seinen Hühnern redete. Unter Nachbarn versteht man in Veletovo nämlich etwas anderes als in Višegrad. In Veletovo gelten auch die Pešićs als Nachbarn, obwohl sie einen halben Tag laufen, wenn sie zu meinen Urgroßeltern wollen. Nicht, weil sie zu arm für ein Auto sind – arm sind sie zwar auch, aber es gibt bei ihnen keine Straße, auf der irgendetwas fahren könnte. Die erwachsenen Pešićs sind alle über zwei Meter groß, auch die Frauen und die Alten. Ich war einmal vor langer Zeit bei ihnen zu Hause. Ich erinnere mich an die säuerliche Ziegenmilch, an Holzspielzeug, und dass ich mich fragte, warum sie nicht höhere Decken bauen, wenn sie doch alle so riesig sind. Wird bei den Pešićs oder bei uns ein Kind geboren oder heiratet jemand, besucht man einander. Man ist sich Patenzeuge und Taufzeuge. Meine Mutter sagt, dass ich keinen Patenbesuch von den Pešićs bekam. Das habe etwas mit ihr zu tun und mit ihrer Seite der Familie. Nichts Schlimmes, sagt meine Mutter und fragt: wärst du gern getauft worden?
Was ist das?, antworte ich.
Na siehst du, sagt sie.
In der Schlange vor dem neuen Klo tänzelten die Nachbarn vor Druck und aus Vorfreude. Ur-Opa durfte als Erster. Er trug seinen schwarzen Gehrock, klopfte sich auf den Bauch und prahlte lauthals: vier Tage habe ich nicht! Tam-tam, tam-tam-tam, klapperte er Anfeuerungsrhythmen mit dem Klodeckel.