— Frisch geschieden — antwortete Snaut ebenso flüsternd, nur mit stärkerem Zischen. Möglich, daß ich losgelacht hätte, wenn mir irgendwann jemand diese Geschichte erzählt hätte, und auch diesen Anfang des Gesprächs, aber in der Station war mein Humor einfach amputiert. — Ich habe seit gestern ein paar Jahre durchgemacht, Kelvin — setzte Snaut fort. — Ein paar ausgiebige Jahre. Und du?
— Nichts… — antwortete ich nach einer Weile, da ich nicht wußte, was ich sagen sollte. Ich mochte ihn gern, aber ich fühlte, daß ich jetzt vor ihm auf der Hut sein mußte, oder vielmehr vordem, was ihn zu mir führte.
— Nichts? — wiederholte er im gleichen Ton wie ich. — Sieh mal an, also gar so…?
— Wovon redest du? — ich tat, als verstünde ich nichts. Er kniff die blutunterlaufenen Augen ein; vorgeneigt, so daß ich seinen warmen Atem im Gesicht spürte, flüsterte er:
— Wir stecken fest, Kelvin. Mit Sartorius kann ich mich nicht mehr verbinden, ich weiß nur, was ich dir geschrieben habe, das sagte er mir noch nach unserer reizenden kleinen Konferenz…
— Er hat das Visofon abgestellt? — fragte ich.
— Nein. Bei ihm gibt es einen Kurzschluß. Es scheint, daß er den absichtlich gebaut hat, oder… — er machte eine Bewegung mit der Faust, als zerschlüge er etwas. Ich schaute ihn wortlos an. Sein linker Mundwinkel verzog sich zu einem unangenehmen Lächeln.
— Kelvin, ich bin gekommen, weil… — Snaut sprach nicht aus.
— Was hast du vor?
— Du meinst diesen Brief…? — entgegnete ich langsam. — Ich kann das tun, ich sehe keinen Grund zur Weigerung, eben deshalb sitze ich hier, ich wollte mich orientieren…
— Nein — unterbrach er. — Etwas anderes.
— Nein…? — ich stellte mich verblüfft. -Also, schieß los.
— Sartorius — murmelte er nach einer Weile. — Er glaubt, daß er einen Weg gefunden hat, weißt du…
Er ließ kein Auge von mir. Ich saß ruhig und bemühte mich, einen gleichgültigen Gesichtsausdruck anzunehmen.
— Zunächst ist da diese Geschichte mit dem Röntgen. Das, was Gibarian und er gemacht haben, du erinnerst dich. Da ist eine gewisse Abwandlung möglich…
— Was für eine?
— Sie haben einfach ein Bündel Strahlen in den Ozean gesendet und nur die Intensität nach allerlei Mustern moduliert.
— Ja, ich weiß. Das hat schon Nilin gemacht. Und auch sonst eine Menge Leute.
— Ja, aber die haben weiche Strahlung angewendet. Diesmal war es harte, sie feuerten in den Ozean, was sie nur hatten, die volle Leistung.
— Das kann unangenehme Konsequenzen haben — bemerkte ich. — Verstoß gegen die Konvention der Vier und gegen die der UNO.
— Kelvin… verstell dich nicht. Das hat doch jetzt nichts zu bedeuten. Gibarian ist tot.
— Aha, Sartorius will alles auf ihn schieben?
— Weiß ich nicht. Ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen. Das ist unwichtig. Sartorius meint, da ja immer nur dann ein „Gast“ auftaucht, wenn du erwachst, holt der Ozean offensichtlich die Produktionsvorlage aus uns heraus, während wir schlafen. Erfindet, daß unser wichtigster Zustand gerade der Schlaf sei. Deshalb geht er so vor. Also will ihm Sartorius unser Wachdasein senden, die Gedanken aus dem Wachen, verstehst du?
— Wie denn? Per Post?
— Deine Witze kannst du dir auf den Hut stecken. Dieses Strahlenbündel soll durch die Gehirnströme eines von uns moduliert werden.
Plötzlich ging mir ein Licht auf.
— Aha — sagte ich. — Dieser „eine“ bin ich. Stimmt's?
— Ja. Er hat an dich gedacht.
— Herzlichen Dank.
— Was sagst du dazu?
Ich schwieg. Ohne etwas zu sagen, richtete Snaut langsam die Augen auf Harey, die in die Lektüre vertieft war, und dann wieder auf mein Gesicht. Ich spürte, wie ich erbleichte. Ich hatte das nicht in der Gewalt.
— Also…? -sagte er.
Ich zuckte die Achseln.
— Diese Röntgenpredigt über die Großartigkeit des Menschen halte ich für läppisch. Und du auch. Oder vielleicht nicht?
— Ja?
— Ja.
— Sehr gut — sagte er und lächelte, als hätte ich ihm einen Wunsch erfüllt. — Also du bist gegen diese Sartoriusgeschichte?
Ich begriff noch nicht, wie das gekommen war, aber ich las ihm aus den Augen ab, daß er mich dorthin gebracht hatte, wo er mich haben wollte. Ich schwieg; was hätte ich jetzt sagen können?
— Ausgezeichnet — sagte er. — Denn es gibt noch ein zweites Projekt. Die Roche-Apparatur umzubauen.
— Annihilator…?
— Ja. Sartorius hat schon die Vorberechnungen durchgeführt, das ist realisierbar. Und wird nicht einmal große Stärken erfordern. Der Apparat wird Tag und Nacht laufen, oder auf unbestimmte Zeit, und ein Anti-Feld erzeugen.
— Wart, wart doch! Wie stellst du dir das vor?
— Sehr einfach. Das wird ein Anti-Feld für Neutrinos. Die gewöhnliche Materie bleibt unverändert. Der Vernichtung unterliegen nur… Neutrino-Gefüge. Verstehst du?
Er lächelte befriedigt. Ich saß mit halb offenem Mund da. Snaut hörte langsam zu lächeln auf. Er runzelte die Stirn, sah mich forschend an und wartete.
— Das erste, das Projekt „Gedanke“ verwerfen wir also. Wie? Und das zweite? Sartorius sitzt schon dahinter. Nennen wir es „Freiheit“.