»Er rauchte. Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an. Mutter Felicitas genehmigt sich auch ab und zu eine Zigarette. Aber das ist nur menschlich, nicht wahr? Rauchen beruhigt das Gewissen, wie man mir gesagt hat.«
Sie hatte auf die Klingel gedrückt. Die Hand ausgestreckt und lange darauf gedrückt. Er hörte wieder das Klirren der Schlüssel, als Mutter Felicitas den teppichlosen Gang herunterkam, hörte sie mit den Füßen scharren, als sie vor der Tür stehenblieb, um aufzusperren, hörte die Geräusche, die jedem Gefängnis der Welt zueigen sind.
»Ich möchte mit Ihnen in Ihrem Wagen wegfahren«, sagte Alexandra.
Smiley beglich die Rechnung, und Alexandra sah zu, wie er die Scheine unter der Lampe hinzählte, genau wie Onkel Anton dies immer tat. Mutter Felicitas bemerkte Alexandras gespannten Blick, und vielleicht witterte sie Ungemach, denn sie blickte Smiley scharf an, als verdächtige sie ihn einer Ungehörigkeit. Alexandra begleitete ihn zur Tür, war Schwester Béatitude beim öffnen behilflich, schüttelte Smiley mit Grandezza die Hand, wobei sie den Ellbogen abspreizte und das Knie des vorgestellten Beins beugte. Sie versuchte, ihm die Hand zu küssen, doch Schwester Beatitude hinderte sie daran. Sie schaute ihm auf dem Weg zum Wagen nach und begann zu winken. Er war bereits am Anfahren, als er sie aus nächster Nähe schreien hörte und sah, daß sie versuchte, die Wagentür zu öffnen, um mit ihm zu kommen. Schwester Beatitude riß sie vom Auto und zog die unaufhörlich Schreiende ins Haus zurück.
Eine halbe Stunde später in Thun, in demselben Cafe, von dem aus Smiley vor einer Woche Grigoriews Gang zur Bank beobachtet hatte, händigte er Toby wortlos den von ihm vorbereiteten Brief aus. Grigoriew solle ihn am heute abend Krassky geben, sagte er.
»Grigoriew möchte diese Nacht abspringen«, wandte Toby ein.
Smiley schrie. Zum erstenmal in seinem Leben schrie er. Er riß den Mund sehr weit auf, er schrie, und das ganze Cafe fuhr hoch - das heißt, das Mädchen hinter der Theke sah von ihren Heiratsanzeigen auf, und von den vier Kartenspielern in der Ecke drehte mindestens einer den Kopf. »Noch nicht!«
Und um zu zeigen, daß er sich wieder in der Gewalt hatte, wiederholte er ruhig: »Noch nicht, Toby. Verzeihen Sie bitte. Noch nicht.«
Von dem Brief, den Smiley über Grigoriew an Karla schickte, existiert keine Kopie, ein Manko, das vielleicht von Smiley beabsichtigt war, indes kann kaum ein Zweifel über den Tenor des Schreibens bestehen, war doch Karla, wie er selbst von sich gesagt hatte, ein erklärter Verfechter der Kunst dessen, was er Unterdrucksetzen nannte. Smiley dürfte die nackten Tatsachen vorgebracht haben: daß Alexandra unbestreitbar seine Tochter sei und die seiner ehemaligen und jetzt toten Geliebten, deren anti-sowjetische Einstellung amtsbekannt war; daß er Alexandras illegale Ausreise aus der Sowjetunion bewerkstelligt habe, unter dem Vorwand, sie sei seine Geheimagentin; daß er öffentliche Gelder und Einrichtungen mißbraucht habe; daß er zwei Morde und vielleicht auch die mutmaßliche offizielle Hinrichtung von Kirow organisiert habe, um sein verbrecherisches Vorhaben zu decken. Smiley dürfte auch darauf hingewiesen haben, daß angesichts Karlas prekärer Stellung innerhalb der Moskauer Zentrale die angehäufte Beweislast mehr als genüge, um seine Liquidierung durch die Kollegiumsgenossen zu sichern; und daß, falls dies eintreten sollte, die Zukunft seiner Tochter im Westen - wo sie unter falschen Angaben weilte - äußerst unsicher sein würde, um es milde auszudrücken. Es würde kein Geld für sie da sein, und aus Alexandra würde eine auf Lebenszeit zum Exil verdammte Kranke werden, die man von Spital zu Spital schleppt, ohne Freunde, ohne ordentliche Papiere, völlig mittellos. Im schlimmsten aller denkbaren Fälle würde sie nach Rußland zurückgebracht und dem vollen Zorn der Feinde ihres Vaters ausgeliefert werden.
Nach der Peitsche bot Smiley das Zuckerbrot, wie vor mehr als zwanzig Jahren in Delhi: Retten Sie Ihre Haut, kommen Sie zu uns, sagen Sie uns, was Sie wissen, und wir werden für Sie sorgen. Ein klares Wiederholungsspiel, sagte später Enderby, der sportliche Metaphern liebte. Er dürfte Karla auch versprochen haben, daß man ihn nicht wegen Beihilfe zum Mord an Wladimir belangen würde, und es gibt Beweise dafür, daß Enderby über seine deutsche Verbindungsstelle die gleiche Zusicherung der Straffreiheit im Hinblick auf den Mord an Otto Leipzig erwirkte. Ganz zweifellos stellte Smiley auch noch allgemeine Garantien bezüglich Alexandras Zukunft im Westen in Aussicht - Behandlung, Pflege und, wenn nötig, Staatsbürgerschaft. Schlug er wieder die Saite der Seelenverwandtschaft an, wie damals in Delhi? Appellierte er an Karlas Menschlichkeit, die jetzt so demonstrativ zur Schau stand? Versetzte er das alles mit Argumenten, die Karla das Gefühl der Demütigung ersparen und, angesichts seines Stolzes, vor einem Akt der Selbstzerstörung bewahren sollten?