»Am nächsten Morgen sind Sie zurückgekehrt«, fährt er fort, »haben wie üblich die Wohnung betreten und ihm sein Frühstück gemacht.«
»Wussten Sie da, dass er nicht in der Schlinge hing?«, fragt Saga.
»Ich hatte im kleinen Salon nachgesehen«, antwortet Edith Schwartz.
Der Anflug eines spöttischen Lächelns huscht über ihr verschlossenes Gesicht.
»Sie haben uns bereits erzählt, dass Palmcrona genauso frühstückte wie sonst auch, aber auch an diesem Morgen fuhr er nicht zur Arbeit.«
»Er saß mindestens eine Stunde im Musikzimmer.«
»Und hörte Musik?«
»Ja«, antwortet sie.
»Kurz vor Mittag führte er ein kurzes Telefonat«, bemerkt Saga.
»Das weiß ich nicht, er hielt sich in seinem Arbeitszimmer auf, und die Tür war geschlossen, aber bevor er sich zu Tisch setzte und den pochierten Lachs aß, bat er mich, für zwei Uhr ein Taxi zu bestellen.«
»Er wollte zum Flughafen Arlanda«, sagt Joona.
»Ja.«
»Um zehn vor zwei wurde er angerufen?«
»Ja, er war schon im Mantel und ging im Flur an den Apparat.«
»Konnten Sie hören, was er sagte?«, fragt Saga.
Edith Schwartz kratzt sich an ihrem Pflaster und legt anschließend die Hand auf die Türklinke.
»Es ist kein Albtraum zu sterben«, sagt sie leise.
»Ich habe Sie gefragt, ob Sie gehört haben, was er sagte«, beharrt Saga.
»Jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen«, sagt Edith Schwartz kurz angebunden und will die Tür zuziehen.
»Warten Sie, bitte«, sagt Joona.
Die Tür hält plötzlich in ihrer Bewegung inne, und die Haushälterin sieht ihn durch den Türspalt an, ohne wieder aufzumachen.
»Sind Sie schon dazu gekommen, Palmcronas Post von heute zu sortieren?«, erkundigt sich Joona.
»Selbstverständlich.«
»Holen Sie bitte alles, was keine Reklame ist«, fordert Joona sie auf.
Sie nickt, geht ins Haus, schließt die Tür hinter sich und kehrt kurz darauf mit einer blauen Plastikablage voller Post zurück.
»Danke«, sagt Joona und nimmt sie entgegen.
Sie zieht die Tür zu und schließt ab. Sekunden später beginnt die Hundeleine wieder zu sirren. Als sie zum Auto zurückkehren und einsteigen, hören sie hinter sich das aggressive Bellen des Schäferhunds.
Saga lässt den Motor an, schaltet und wendet. Joona zieht Schutzhandschuhe an, blättert in den Briefen, greift nach einem weißen handschriftlich adressierten Umschlag, öffnet ihn und zieht behutsam das Foto heraus, das mindestens zwei Menschen das Leben gekostet hat.
Spende Boerse
47
Saga Bauer fährt rechts heran. Das hohe Gras im Straßengraben schmiegt sich ans Fenster. Joona Linna sitzt vollkommen regungslos und betrachtet die Aufnahme.
Irgendetwas verdeckt den oberen Rand des Motivs, aber ansonsten ist das Bild gestochen scharf. Wahrscheinlich wurde das Foto heimlich gemacht.
Auf dem Foto sind vier Personen in der geräumigen Loge eines Konzertsaals zu sehen, drei Männer und eine Frau. Ihre Gesichter sind deutlich zu erkennen. Nur einer der Anwesenden hat sich vom Betrachter abgewandt, aber sein Gesicht ist nicht verdeckt.
In einem Sektkühler steht Champagner, und der Tisch ist so gedeckt, dass die vier essen, sich unterhalten und gleichzeitig der Musik lauschen können.
Joona erkennt sofort Carl Palmcrona, der ein schlankes Champagnerglas in der Hand hält, und Saga identifiziert zwei der drei anderen.
»Das hier ist Raphael Guidi, der Waffenhändler, der in dem Erpresserbrief erwähnt wurde«, erläutert sie und zeigt auf einen Mann mit schütterem Haar. »Und der hier, der etwas abgewandt steht, ist Pontus Salman, der Chef von Silencia Defence.«
»Waffen«, sagt Joona leise.
»Silencia Defence ist ein seriöses Unternehmen.«
Im Scheinwerferlicht auf der Bühne hinter den Männern in der privaten Loge sieht man ein Streichquartett, zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello. Die Musiker sind alle Männer. Sie sitzen in einem Halbkreis, einander zugewandt, mit ruhigen, lauschenden Gesichtern. Man kann nicht erkennen, ob ihre Lider gesenkt oder geschlossen sind, ob ihre Blicke auf den Noten ruhen oder ob die Musiker die Augen geschlossen haben, um den verschiedenen Stimmen zu lauschen.
»Wer ist die vierte Person, die Frau?«, fragt Joona.
»Ich komme gleich drauf«, antwortet Saga. »Ich kenne sie, aber … Verdammt …«
Saga verstummt, und ihr Blick verharrt auf dem Gesicht der Frau.
»Wir müssen herausfinden, wer sie ist«, sagt Joona.
»Ja.«
Saga lässt den Wagen an, und als sie auf die Straße fährt, fällt ihr die Antwort ein.
»Agathe al-Haji«, sagt sie schnell. »Sie ist die Sicherheitsberaterin von Präsident Umar al-Bashir.«
»Sudan«, sagt Joona.
»Ja.«
»Wie lange ist sie schon seine Beraterin?«, erkundigt sich Joona.
»Fünfzehn Jahre, vielleicht auch länger, ich erinnere mich nicht.«
»Und was soll nun so besonders an diesem Bild sein?«
»Keine Ahnung, nichts, ich meine … es ist nicht weiter seltsam, dass sich diese vier Leute treffen, um die Möglichkeiten für Geschäfte auszuloten«, erklärt Saga. »Im Gegenteil. Besprechungen dieser Art gehören dazu. Sie können ein erster Schritt sein. Man trifft sich, erzählt von seinen Plänen und bittet Carl Palmcrona möglicherweise um einen vorläufigen Bescheid.«