Direkt hinter dem Leibwächter steht Raphael Guidi und presst das Messer an Axels Kehle. Der Fahrtwind des Hubschraubers zerrt an ihren Kleidern. Blutstropfen fliegen durch die Luft. Joona geht leicht in die Hocke, hebt das Korn einige Millimeter und feuert.
Es knallt, und er spürt den harten Schlag des Rückstoßes an seiner Schulter. Das Vollmantelgeschoss verlässt die Waffe mit einer Geschwindigkeit von 800 Metern pro Sekunde. Lautlos trifft es die Halsgrube des Leibwächters, tritt am Nacken wieder aus, verliert kaum an Tempo, schießt durch Raphael Guidis Schulter und aufs Meer hinaus.
Der Arm des Waffenhändlers wird durch den Treffer hochgeschleudert, und das Messer rutscht klirrend über die Plattform.
Axel Riessen sinkt zu Boden.
Der Leibwächter sieht Joona erstaunt an, Blut strömt über seine Brust, wankend hebt er die Pistole, aber seine Kräfte versiegen. Er röchelt seltsam und hustet. Blut spritzt auf Mund und Kinn.
Er setzt sich, greift sich mit der Hand an den Hals und blinzelt zwei Mal, dann erstarren seine weit aufgerissenen Augen.
Raphael Guidis Lippen sind blass, er steht im kräftig pulsierenden Wind, presst die Hand mit der Geige auf seine blutende Schulter und starrt Joona an.
»Papa«, ruft sein Sohn aus dem Hubschrauber und wirft ihm eine Pistole zu.
Klappernd schlägt sie auf den Landeplatz, holpert weiter und bleibt vor Guidis Füßen liegen.
Axel sitzt mit trübem Blick an die Reling gelehnt und versucht mit der Hand, die Blutung an seinem Hals zu stoppen.
»Raphael Guidi!«, ruft Joona mit lauter Stimme. »Ich bin gekommen, um Sie zu verhaften.«
Guidi steht fünf Meter vor seinem Hubschrauber, die Pistole zu seinen Füßen. Der Trainingsanzug flattert an seinem Körper. Mühsam bückt er sich und hebt die Pistole auf.
»Sie stehen unter dem Verdacht des Waffenschmuggels in einem schweren Fall, der Freiheitsberaubung und des Mordes«, sagt Joona.
Raphael Guidis Gesicht ist verschwitzt, und die Pistole in seiner Hand zittert.
»Legen Sie die Waffe weg«, ruft Joona.
Guidi hält die schwere Pistole in der Hand, aber als er Joonas ruhigem Blick begegnet, schlägt sein Herz schneller.
Axel Riessen starrt Joona an und versucht, ihm zuzurufen, dass er weglaufen soll.
Joona rührt sich nicht von der Stelle.
Alles geschieht fast gleichzeitig.
Der Waffenhändler hebt die Pistole und drückt ab, aber die Pistole klickt nur. Er versucht es erneut und holt tief Luft, als er begreift, dass sein Sohn nicht wie versprochen das Magazin geladen hat. Raphael Guidi wird von dem Gefühl übermannt, dass eine furchtbare Einsamkeit ihn wie eine kalte Hülle umgibt. Im selben Moment, in dem er erkennt, dass es zu spät ist, die Waffe fallen zu lassen und sich zu ergeben, seufzt sein Körper auf. Drei weiche Stöße kurz hintereinander. Unmittelbar darauf hört man die Schüsse übers Meer hallen. Raphael Guidi kommt es vor, als schlüge ihm jemand fest auf die Brust, gefolgt von einem nagenden Schmerz, als er zurücktaumelt und jegliches Gefühl in den Beinen verliert.
Der Hubschrauber wartet nicht mehr, hebt ohne den Waffenhändler ab und steigt tosend auf.
Das große Flugkörperschnellboot FNS Hanko der finnischen Marine liegt neben der Jacht. Ein zweites Mal feuern drei Scharfschützen ihre Waffen ab. Sämtliche Kugeln treffen Guidis Rumpf. Man hört nur einen Knall. Der Getroffene wankt mehrere Schritte zurück und fällt, versucht sich aufzusetzen, kann sich aber nicht mehr bewegen.
Sein Rücken ist noch warm, aber seine Füße sind bereits eiskalt.
Raphael Guidi starrt zu dem Hubschrauber hinauf, der rasch in den diesigen Himmel aufsteigt.
Peter sitzt in der Kabine und blickt auf die kleiner werdende Luxusjacht hinab. Sein Vater liegt auf dem runden Landeplatz, innerhalb der Ringe wie auf einer Zielscheibe.
In seiner Hand hält er immer noch Paganinis Geige. Die schwarze Blutlache unter ihm wird rasch größer, aber sein Blick ist bereits tot.
Joona ist der Einzige, der auf dem Vordeck des Schiffs noch steht.
Während der weiße Hubschrauber verschwindet, rührt er sich nicht von der Stelle.
Der Himmel leuchtet in einem kristallenen, trostlosen Licht. Auf der spiegelblanken See liegen ruhig drei Schiffe; als wären sie verlassen, treiben sie Seite an Seite.
Bald werden Rettungshubschrauber aus Finnland eintreffen, aber in diesem Moment herrscht eine so eigentümliche Stille wie nach dem letzten verklingenden Ton eines Konzerts, wenn das Publikum, noch von der Musik verzaubert, von der nachfolgenden Stille geblendet ist.
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Joona Linna, Axel Riessen, Niko Kapanen und der grauhaarige Leibwächter werden mit Rettungshubschraubern ins HUCS Chirurgische Krankenhaus in Helsinki transportiert. Noch im Krankenhaus musste Axel Riessen Joona einfach fragen, warum er stehen geblieben war, als Raphael Guidi die Pistole vom Boden aufhob.
»Haben Sie mich nicht rufen hören?«, wollte Axel wissen.