3. Kapitel
Schelfheim
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Selbst aus einer Entfernung von mehreren Meilen betrachtet wirkte die Stadt imposant. Dabei war keines ihrer Gebäude höher als drei Stockwerke, und selbst die Türme, von denen sich gleich mehrere Dutzend über die geneigte Stadtmauer erhoben, verdienten diesen Namen kaum; eigentlich waren es nur buckelige Warzen auf dem steinernen Damm, der Schelfheim umgürtete. Die Stadt war auf weichem, sandigem Grund erbaut, der keine schweren Gebäude trug. Aber was ihr an Höhe fehlte, machte Schelfheim an Ausdehnung wett – der Durchmesser der Stadtmauer mußte gute fünf Meilen betragen, und sie umschloß nur einen Bruchteil der wirklichen Stadt.
Schelfheim war vielleicht die einzige Stadt auf der Welt, deren Wehrmauer hinter einem Wall von Häusern lag, statt umgekehrt. Aber das Gewirr aus Straßen und Gebäuden und Plätzen hatte irgendwann vor hundert oder mehr Jahren damit begonnen, den steinernen Gürtel zu überwuchern, den seine Erbauer zum Schutz gegen einen Feind errichtet hatten, der niemals gekommen war, und sich in alle Richtungen ausgebreitet. Jetzt bedeckte es ein Gebiet von sicherlich hundertfünfzig Quadratmeilen. Ausdehnung. Es war die größte Stadt, die Tally jemals gesehen hatte, vielleicht die größte, die es überhaupt gab. Aber dadurch, daß nichts in ihr höher als zehn Meter war, wirkte sie auf den ersten Blick wie ein flachgewalzter Pfannkuchen und auf den zweiten Blick eigentlich eher erschreckend als majestätisch. Etwas an dieser Stadt störte sie.
Tally überlegte einen Moment, ob es vielleicht ihre Lage war: Schelfheim war auf dem nördlichsten Stück Norden erbaut worden, das es überhaupt gab. Von ihrem jenseitigen Ende aus mußte man fast in den Schlund spucken können. Ganz abgesehen von ihrer angeborenen Abneigung gegen Städte und zu viele Menschen war es kein Ort, an dem sie gerne gelebt hätte – eigentlich ein Ort, von dem sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte, daß dort
Tally verscheuchte den Gedanken, strich ein wenig pulverigen Schnee aus der Mähne ihres Pferdes und tätschelte dem Tier geistesabwesend den Hals. Das Fell des Rappen dampfte vor Kälte; sein Schweiß roch schlecht. Sie konnte von Glück sagen, wenn das Tier noch bis Schelfheim durchhielt, wo sie es gegen ein neues eintauschen konnte. Und Hrhons Pferd...
Sie drehte sich halb im Sattel herum und blickte zu dem Waga zurück, der in unnachahmlich grotesker Haltung auf dem Rücken seines Kleppers hockte – einen anderen Namen verdiente die Schindmähre wirklich nicht. Der Händler, dem sie es für einen Wucherpreis abgekauft hatte, mußte sie insgeheim für völlig übergeschnappt gehalten haben, für ein solches Pferd auch nur einen roten Heller auszugeben. Es war nicht nur häßlich, sondern auch halb lahm und bewegte sich selbst im Galopp nicht sehr viel schneller als ein Spaziergänger. Aber es war das mit Abstand größte Pferd gewesen, das sie hatten finden können, und bisher das einzige, das Hrhons Gewicht länger als zwei Tage ertragen hatte, ohne tot unter ihm zusammenzubrechen.
»Issst esss nhoch wheit?« fragte Hrhon, als er ihren Blick bemerkte.