1. Kapitel
Talianna
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Das Dorf lag in der Biegung des Flusses, ein Stück schwarzer Kohle, das von einem silber-blau-grün gefleckten Band zu zwei Dritteln umschlungen wurde und während der letzten Jahre begonnen hatte, in die einzige Richtung zu wuchern, die ihm blieb.
Das hieß – nicht ganz.
Ein paar Häuser, erbaut von besonders mutigen – oder besonders dummen – Menschen, ragten ein Stück in den Fluß hinein, auf Stelzen stehend wie verschmorte fette Störche mit zu vielen Beinen oder wie steinerne Schwalbennester unter die Biegung der zerborstenen Brücke geklebt. Einstmals hatte es einen Namen gehabt, dieses stolze, reiche, verbrannte Dorf, das heißt, sogar mehrere: Manche hatten es Laybary genannt, ein Wort aus der Sprache der Ureinwohner dieses Teiles der Welt, die hiergewesen waren, ehe die Menschen kamen und dessen Bedeutung niemand kannte. Andere – später – hatten es Grünau getauft: ein Name, der absolut nicht paßte, aber hübsch klang. Beide Namen waren im gleichen Maße verloren gegangen, in dem die Menschen hier am Fluß die Kraft zu entdecken begannen, die der große silberne Strom mit sich brachte, und sie nutzten; im gleichen Maße, in dem die strohgedeckten Hütten schweren, steinernen Häusern mit schwarzen Schieferdächern wichen, Dächern, über denen gewaltige rauchende Schlote die Geheimnisse verrieten, die unter ihnen schlummerten.
Als die Bewohner Lybarys oder Grünaus damit begannen, Eisen zu machen, war die Stadt häßlich geworden, zu häßlich für einen so wohlklingenden Namen wie Lybary oder gar Grünau –
Er war verbrannt.
Zusammen mit der Stadt.
In einer einzigen Nacht voller schlagender schwarzer Schwingen und gellender Schreie und Feuer, das vom Himmel regnete und tausendmal heißer war als die Glut der Essen unten auf der Erde, war er verkohlt, zu Asche und Staub und heißem Schlamm geworden, den der Fluß forttrug, das Werk von drei Generationen dahin in einer einzigen Nacht. Die großen Quader aus rostrotem Roheisen waren ein letztes Mal geschmolzen, so daß sie jetzt über großen Teilen des Ruinendorfes ein Leichentuch aus poröser Schlacke bildeten. Die Hoffnungen und Träume von Reichtum und Macht waren verdampft wie die Gehirne, die sie geträumt hatten, und das Gold, das überreichlich gegen scharfgeschliffenen Stahl getauscht worden war, war in den Händen seiner Besitzer weich geworden und zu Boden getropft wie schimmernde Tränen.
Zumindest hatte Stahldorf – das früher einmal Grünau und noch früher Lybary geheißen hatte und das man morgen vielleicht Brandstadt nennen würde – ein Ende gefunden, das seinem kurzen Aufblühen angemessen gewesen war.
Die Vernichtung war vollkommen gewesen, eine schwarze Götterfaust, die mit der Nacht gekommen war und deren Finger weißglühende Narben in der Erde hinterließen. Das landeinwärts, dem offenen Teil der Flußschleife zugewandte Drittel der Stadt war vollkommen zerstört. Zertrümmert, verbrannt und pulverisiert – vielleicht auch in umgekehrter Reihenfolge – bot es sich dar wie das flachgewalzte Innere eines Vulkanes. Wo die geschmolzene Eisendecke gerissen und die bloße Erde sichtbar war, da war sie schwarz und schimmerte, zu Glas geworden.
Das zweite Drittel der Stadt bot einen vielleicht noch schlimmeren Anblick, denn die Zerstörung war hier nicht so vollkommen. Wo die Verheerung so total war, daß sie ihre eigenen Spuren verdeckte, war auch nichts mehr, vor dem man erschrecken konnte.