Die andere vier Wesen, die zusammen mit ihm im Büro des Chefpsychologen warteten, zeigten zunächst keinerlei Reaktion. Dr. Prilicla klammerte sich schweigend an die Decke — seine bevorzugte Position, wenn er sich in der Gesellschaft von Lebewesen befand, die größer und muskulöser waren als er. Zusammen auf einer illensanischen Bank saßen die ungewöhnlich hübsche Pathologin Murchison und eine raupenähnliche kelgianische Oberschwester mit silbernem Fell namens Naydrad. Auch sie schwiegen. Major Fletcher, dem man als erst kürzlich eingetroffenen Besucher des Hospitals aus Höflichkeit den einzigen physiologisch passenden Stuhl angeboten hatte, war der erste, der das Schweigen brach.
„Man wird Ihnen aber nicht gestatten, das Ambulanzschiff zu fliegen, Doktor“, sagte er ernst.
Es war offensichtlich, daß Major Fletcher immer noch stolz auf die funkelnden Abzeichen eines Schiffskommandanten war, die seit neuestem die Ärmel seiner Monitoruniform schmückten, und sich bereits jetzt um das Wohlergehen des Schiffs sorgte, auf dem er in Kürze das Kommando haben würde. Conway erinnerte sich daran, bei Erhalt seines ersten Taschenscanners genauso empfunden zu haben.
„Also wirst du nicht einmal zum Fahrer eines Ambulanzschiffs befördert“, bemerkte Murchison lachend.
Naydrad beteiligte sich am Gespräch mit einer Reihe wimmernder und pfeifender Geräusche, die übersetzt lauteten: „Erwarten Sie etwa in einer Einrichtung wie dem Orbit Hospital so etwas wie Logik, Doktor?“
Conway antwortete nicht. Er dachte daran, daß über die Gerüchteküche des Hospitals, die einen normalerweise zuverlässigen Herd hatte, bereits seit Tagen die Neuigkeit verbreitet worden war, ein Chefarzt, nämlich Conway selbst, würde bald dauerhaft einem Ambulanzschiff zugeteilt.
An der Decke begann Dr. Prilicla als Reaktion auf Conways emotionale Ausstrahlung zu zittern. Deshalb versuchte dieser, seine Gefühle der Verwirrung und Enttäuschung unter Kontrolle zu bekommen.
„Bitte regen Sie sich wegen dieser Geschichte doch nicht unnötig auf, mein Freund“, bat der kleine Empath, und die rollenden Schnalzlaute der fast musikalischen Sprache des Cinrusskers überlagerten die emotionslos klingende Übersetzung aus dem Translator. „Zunächst einmal muß man uns noch von offizieller Seite über diese neue Aufgabe informieren, und ich halte es für sehr wahrscheinlich, daß Sie dann angenehm überrascht sein werden, Doktor.“
Wie Conway wußte, war Prilicla jedoch nicht abgeneigt zu lügen, wenn er dadurch die emotionale Atmosphäre einer Situation verbessern konnte.
Er tat das allerdings nicht, wenn eine solche Besserung nur kurzfristig anhielt, und daraufhin sogar noch stärkere Gefühle des Ärgers und der Enttäuschung folgten.
„Und wie kommen Sie darauf, Doktor?“ fragte Conway. „Sie haben das Wort ›wahrscheinlich‹ und nicht ›möglich‹ verwandt. Haben Sie irgendwelche Insiderinformationen?“
„Das stimmt allerdings, mein Freund“, antwortete der Cinrussker. „Ich hab eine emotionale Strahlungsquelle geortet, die vor einigen Minuten das Vorzimmer betreten hat. Sie entspringt den Gefühlen unseres Chefpsychologen und strahlt Entschlossenheit mit einer Art gedämpfter Besorgnis aus, wie sie bei Wesen typisch ist, auf denen Verantwortung lastet. Ich kann aber keine Gefühle entdecken, die vorhanden sein müßten, wenn man vorhat, jemandem eine unangenehme Neuigkeit beizubringen. Im Moment spricht Major O'Mara mit einem seiner Assistenten, der sich ebenfalls keines latenten unangenehmen Gefühls bewußt ist.“
Conway lächelte und entgegnete: „Danke, Doktor. Jetzt fühle ich mich schon wesentlich besser.“
„Ich weiß“, antwortete Prilicla.
„Und ich hab das Gefühl, daß eine solche Debatte über die Gefühle des Wesens O'Mara an eine Verletzung des medizinischen Berufsethos grenzt“, sagte Schwester Naydrad. „Emotionale Ausstrahlung ist zweifellos so etwas wie eine vertrauliche Mitteilung und sollte nicht auf diese Weise verbreitet werden.“
„Vielleicht haben Sie die Tatsache nicht berücksichtigt, daß es sich bei dem Wesen, über dessen emotionale Ausstrahlung wir sprechen, um keinen Patienten handelt, Freundin Naydrad“, entgegnete Prilicla, wobei er sich so ausdrückte, daß es ihm als Empathen gerade noch möglich war, einem anderen Wesen mitzuteilen, es sei im Unrecht. „Und in diesem Fall stellt Doktor Conway das einem Patienten am meisten ähnelnde Wesen dar, da er sich um seine Zukunft sorgt und zu seiner Beruhigung eine Information über die emotionale Ausstrahlung Doktor O'Maras benötigt…“
Naydrads silbriges Fell sträubte sich und wogte; es zeigte somit an, daß die kelgianische Oberschwester antworten wollte. Doch in diesem Augenblick kam Dr. O'Mara aus dem Vorzimmer herein, und das Gespräch, das sich zu einer interessanten Diskussion über ethische Grundsätze hätte entwickeln können, fand ein vorzeitiges Ende.
Der Chefpsychologe nickte jedem der Reihe nach kurz zu und setzte sich in den einzigen weiteren physiologisch passenden Stuhl im Raum, nämlich in seinen eigenen.