Das bedeutete jedoch nicht, daß sie sich ihres Mangels nicht bewußt waren. Praktisch jedes nichtintelligente Geschöpf auf dem Planeten besaß die ihnen unbekannte Fähigkeit zur genauen Navigation sowohl über kurze als auch über lange Entfernungen, ohne die Windrichtung oder die durch von entfernten Gegenständen abprallenden Schwingungen erzeugten Luftverwirbelungen erfühlen zu müssen. Aber die blinden Aliens wußten nicht genau, was dieses Sehvermögen überhaupt sein könnte. Gleichzeitig wurden sie sich jedoch durch die steigende Differenziertheit ihres weitreichenden Fühlungssystems vieler und komplizierter Schwingungen bewußt, die sie von außerhalb ihrer eigenen Welt erreichten. Es gab also vernunftbegabte Wesen mit wahrscheinlich viel größerem Wissen, von denen diese leichten Berührungen ausgingen. Diese Wesen könnten ihnen vielleicht beim Erlangen dieses Sinnes helfen, den anscheinend außer ihnen selbst alle Lebewesen besaßen.
Noch unendlich viele blinde Aliens bezahlten ihr Vortasten in die Luft und ins All zu den Schwesterplaneten mit dem Leben, doch schließlich lernten sie den Flug zu den Sternen, die sie nicht sehen konnten. Unter großen Schwierigkeiten und mit immer weniger Hoffnung suchten sie nach intelligentem Leben, spürten vergebens Planet um Planet auf, bis sie zuletzt den Planeten fanden, auf dem die Beschützer der Ungeborenen lebten.
Die Beschützer… Diese Wesen hatten sich in einer Welt aus flachen, dampfenden Meeren, Sümpfen und Urwäldern entwickelt, in der es, was körperliche Beweglichkeit und Angriffslust anging, keine eindeutige Grenze zwischen tierischem und pflanzlichem Leben gab. Um überhaupt zu überleben, mußte sich eine Lebensform schnell fortbewegen, und die dominante Spezies auf diesem Planeten eroberte sich ihren Platz, indem sie sich mit größerem Überlebenspotential wehrte, fortbewegte und vermehrte als sämtliche anderen Lebensformen.
Schon auf einer sehr frühen Evolutionsstufe hatte sie die große Härte ihrer Umwelt in eine physiologische Form gezwungen, die den lebenswichtigen Organen größtmöglichen Schutz bot. Gehirn, Herz, Lunge, Gebärmutter — sie alle befanden sich tief im äußerst muskulösen, gepanzerten Körper und waren auf ein relativ geringes Volumen zusammengepreßt. Während der Schwangerschaft kam es zu einer beachtlichen Verschiebung der Organe, weil der Embryo vor der Geburt fast bis zur Reife heranwachsen mußte. Es kam nur selten vor, daß einer der Beschützer mehr als drei Geburten überlebte. Ein alternder Elternteil war normalerweise zu schwach, um sich gegen den Angriff des Letztgeborenen zu verteidigen.
Aber der Hauptgrund für den Aufstieg der Beschützer zur dominanten Lebensform des Planeten war, daß die Jungen schon vor der Geburt über Bildung und Erfahrungen mit den Überlebenstechniken verfügten. Am Anfang ihrer Evolution hatte diese Entwicklung auf genetischer Ebene als einfache Vererbung von vielen komplexen Überlebensinstinkten begonnen, aber das enge Nebeneinander der Gehirne des Elternteils und des sich entwickelnden Embryos führte zu einer ähnlichen Wirkung wie bei der Auslösung der mit Gedanken in Verbindung gebrachten elektrochemischen Vorgänge. Die Embryos entwickelten die Fähigkeit zur Telepathie über kurze Strecken und empfingen alles, was das Elternteil sah oder spürte.
Und noch vor dem Wachstumsende des Embryos entstand in diesem der nächste Embryo, der sich ebenfalls in zunehmendem Maße der Welt außerhalb seines selbstbefruchtenden Großelternteils bewußt war.
Schließlich vergrößerte sich die telepathische Reichweite und ermöglichte die Kommunikation zwischen Embryos, deren Elternteile sich in Sichtweite zueinander befanden.
Um die Schäden an den inneren Organen des Elternteils auf ein Minimum zu reduzieren, war der heranwachsende Embryo in der Gebärmutter gelähmt. Durch die vor der Geburt stattfindende Aufhebung der Lähmung verlor der Embryo allerdings sowohl die Intelligenz als auch die Fähigkeit zur Telepathie. Denn ein durch die Fähigkeit zu denken gehandikapter neugeborener Beschützer hätte in seiner unglaublich grausamen Umwelt nicht lange überleben können.
Da sie es mit nichts anderem als dem Gewinnen von Eindrücken der Außenwelt, dem Gedankenaustausch und dem Ausweitungsversuch der telepathischen Reichweite durch den Kontakt mit verschiedenen nichtintelligenten Lebensformen in ihrer Umgebung zu tun hatten, entwickelten die Embryos einen Verstand von großer Kraft und Intelligenz.
Sie konnten jedoch nichts Gegenständliches erschaffen, in irgendeiner Form technische Forschungen betreiben oder überhaupt etwas zur Beeinflussung der Betätigungen ihrer Elternteile oder Beschützer tun, die zur Versorgung der immer wachen Embryokörper und den in ihnen enthaltenen Ungeborenen unaufhörlich kämpfen, töten und fressen mußten.
Das waren die Umstände, als das erste Schiff der blinden Aliens auf dem Planeten der Beschützer landete, und die beiden Spezies gleichzeitig in einen angenehmen geistigen und brutalen körperlichen Kontakt traten.